Angesichts der steigenden Zahl geflüchteter Menschen sollten die Chancen auf ein Bleiberecht aus Sicht der SPD schon vor der Verteilung aus den Landeserstaufnahmeeinrichtungen (LEA) auf die Kommunen geklärt werden. In dieser Vorprüfung könnten die Erfolgsaussichten von Asylbegehren schon nach kurzer Zeit ein erstes Mal rechtlich eingeschätzt und die Prognose an die Landesbehörden weitergegeben werden, sagte der baden-württembergische SPD-Fraktionschef Andreas Stoch am Donnerstag. »Das könnte eine Prognose sein, ein Zwischenfilter und keine Entscheidung«, ergänzte er.
Ziel eines solchen Verfahrens sei es, früher und besser entscheiden zu können, ob die Menschen in eine Anschlussunterbringung kommen oder nicht. »Das ist nicht die Vorwegnahme einer Entscheidung«, betonte Stoch.
Der Flüchtlingsrat ist von der Idee der Oppositionspartei wenig begeistert: »Die Vorsortierung von Asylsuchenden nach ihrer Bleibeperspektive entwertet das Asylverfahren und teilt Menschen willkürlich in «gute» und «schlechte» Geflüchtete ein«, sagte die Co-Geschäftsführerin des baden-württembergischen Vereins, Anja Bartel. Menschen dürfe die Legitimität ihrer Fluchtgründe und ihre Schutzbedürftigkeit nicht pauschal abgesprochen werden. Die Forderung, bestimmte Asylsuchende nicht mehr auf Landkreise und Kommunen zu verteilen, sei zudem »von erschreckender Kurzsichtigkeit geprägt«, sagte Bartel. »Es ist allgemein bekannt, dass die Teilhabemöglichkeiten geflüchteter Menschen in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen stark eingeschränkt sind.«
In einem Positionspapier, das die SPD-Fraktion auf ihrer Klausurtagung in Münsingen (Kreis Reutlingen) beschlossen hat, heißt es zum Verfahren bereits: »Die Pufferfunktion der LEAs, die eine wichtige Entlastung für die Kommunen darstellt, muss gestärkt werden.« Eine solche Sortierung käme aus Sicht der SPD der Verwaltung entgegen und würde das Verfahren beschleunigen. Am Ende könne dann auch eine Abschiebung leichter organisiert werden, als wenn Menschen zwei, drei Jahre blieben, obwohl ein negativer Bescheid absehbar ist, sagte Stoch. Für die Prognose müsste aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hinzugezogen werden.
Betroffen wären nach Angaben der SPD vor allem Menschen aus Herkunftsstaaten mit einer Schutzquote von unter fünf Prozent. Im vergangenen Jahr wären laut Partei rund 3800 der insgesamt 25.562 im Südwesten gestellten Erstanträge für solch ein Vorverfahren in Frage gekommen.
Voraussetzung sei aber, dass mehr LEAs im Land eingerichtet, die Einrichtungen vergrößert und auch besser ausgestattet würden, sagte der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende. »Wer jetzt zaudert, riskiert einen Kollaps«, warnte Stoch.
In Baden-Württemberg besteht das Unterbringungssystem für Geflüchtete aus drei Phasen: Für die Erstaufnahme ist das Land zuständig, für die vorläufige Unterbringung der jeweilige Land- oder Stadtkreis, für die Anschlussunterbringung die Gemeinde. Bis 2014 war Karlsruhe der einzige Erstaufnahme-Standort im Südwesten. Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 wurden die Zuständigkeiten auf die vier Regierungspräsidien erweitert und weitere Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen. Derzeit sucht das Land aufgrund der hohen Zugangszahlen händeringend Standorte für weitere Erstaufnahmeeinrichtungen.
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