Edin Terzic und Sebastian Kehl suchten nur wenige Meter voneinander entfernt nach den passenden Worten. Der späte Schock von Stuttgart erschütterte Trainer und Sportdirektor von Borussia Dortmund bis ins Mark. »Wut« und »Enttäuschung« verspürte Coach Terzic nach dem spektakulären 3:3 (2:0) inklusive Gegentor in der siebten Minute der Nachspielzeit beim abstiegsgefährdeten VfB Stuttgart am Samstag. Sein Vorgesetzter Kehl hatte »komplettes Unverständnis für diese zweite Halbzeit«, pendelte zwischen »Frust« und sogar einer »gewissen Aggressivität.«
Statt im Meisterkampf der Fußball-Bundesliga nach Punkten mit Spitzenreiter FC Bayern München gleichzuziehen, kassierte der Tabellenzweite einen empfindlichen Rückschlag. Wieder mal. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Dem BVB fehlt in den entscheidenden Phasen zu häufig die Titelreife.
»Es gibt Gründe, warum wir es nicht geschafft haben in den letzten zehn Jahren, ganz oben zu stehen«, spannte Terzic auf der Pressekonferenz nach dem Spiel den ganz großen Bogen vom achten und bislang letzten Meistertitel des BVB 2012 bis heute. »Es gibt Gründe, wieso ich in den letzten Wochen häufiger dafür kritisiert wurde, dass wir sehr demütig mit dieser Situation umgehen, in der wir sind«, erklärte er.
Schon zur Pause, als sein Team in Stuttgart 2:0 führte und wegen der Gelb-Roten Karte gegen VfB-Verteidiger Konstantinos Mavropanos (39. Minute) in Überzahl war, habe er darauf hingewiesen, dass der Gegner nur noch eine Chance habe, noch mal ins Spiel zurückzukommen: »Dann, wenn wir die Disziplin verlieren.«
Und die Dortmunder verloren die Disziplin - bei eigenem Ballbesitz, bei Ballverlust und in der Defensivarbeit. Sie hatten noch zwei Lattenschüsse, in vielen Zweikämpfen aber nicht mehr den nötigen Biss. Nach Toren von Sébastien Haller (26.) und Donyell Malen (33.) kassierten sie gegen zehn Stuttgarter durch Tanguy Coulibaly (78.) und Josha Vagnoman (84.) noch den Ausgleich.
Selbst nachdem Joker Giovanni Reyna (90.+3) noch mal für die erneute Führung gesorgt hatte, reichte es nicht zum Sieg. Der vermeintlichen Erlösung folgte mitten hinein in die Meistergesänge der mitgereisten BVB-Fans der Tiefschlag durch das 3:3 von Stuttgarts Silas (90.+7). »Das darf nicht passieren«, betonte Dortmunds Mittelfeldspieler Salih Özcan und sprach von einer gefühlten Niederlage. »Unterm Strich war die zweite Halbzeit extrem enttäuschend und hat uns vieles kaputt gemacht«, analysierte Kehl.
Die Bayern, die selbst nur 1:1 gegen die TSG Hoffenheim spielten, bleiben sechs Spieltage vor dem Saisonende zwei Punkte vor dem BVB und haben die klar bessere Tordifferenz. Trotz ihrer fulminanten Aufholjagd mit acht Siegen in den ersten acht Liga-Spielen des Jahres drohen die Dortmunder am Ende wieder ohne Titel dazustehen. »So unnötig, so dumm« sei dieser Rückschlag in Stuttgart, schimpfte der sichtlich mitgenommene Terzic.
Er verwies auf die Erkrankung von Haller und andere Personalsorgen in der Hinrunde, das Abrutschen auf Platz sechs vor der Winterpause. »Mit ganz viel Fleiß und ganz viel Wut« sei man in die Vorbereitung im Januar gestartet. »Dann haben wir uns in die Ausgangssituation gebracht, in der wir gerade stecken - und dann schenken wir es heute einfach so ab.«
Dortmunds Trainer klang mitunter als sei er den Tränen nahe, gab sich am Ende seiner Analyse aber selbst noch mal einen Ruck. »Es ist noch so viel, worum es sich lohnt zu kämpfen«, betonte der 40-Jährige und verwies auf das enge Rennen um die Schale. »Dass wir und besonders ich einen riesigen Wunsch haben, ist bekannt, glaube ich«, sagte er. Es seien noch sechs Spiele Zeit. Sein Team, das er diesmal nicht wie sonst öffentlich in Schutz nahm, müsse aber »endlich anfangen, aus diesen unnötigen Rückschlägen zu lernen und es nicht wiederkehren zu lassen.« Es braucht mehr Reife. Sonst gibt's wieder keinen Titel.
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