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Schwere Abwägung im Raser-Prozess

Ein Auto kann unter Umständen auch zur Mordwaffe werden. Dann zum Beispiel, wenn ein Fahrer kaltblütig auf das Gaspedal tritt und einen Menschen überfährt. Ob dies auch bei einem Unfall in Heilbronn so gewesen ist, das will in den kommenden Monaten ein Gericht klären.

Gerichtsbank
Ein Schild mit der Aufschrift »Angeklagter« wird auf die Gerichtsbank gestellt. Foto: Arne Dedert/DPA
Ein Schild mit der Aufschrift »Angeklagter« wird auf die Gerichtsbank gestellt.
Foto: Arne Dedert/DPA

Leid und Folgen eines schweren Unglücks spiegeln sich an diesem Vormittag in den ersten Sitzreihen des Heilbronner Landgerichts wider. Neun in schwarz gekleidete Angehörige eines getöteten Familienvaters sind dort zusammengekommen. Seine Schwestern, die Mutter, die Ehefrau. Als Nebenkläger sitzen sie still neben ihren Anwälten. Sie warten darauf, dass der junge Mann in den Saal gebracht wird, der ihr Leben im vergangenen Februar in einem fatalen Augenblick verändert hat.

Der 21-Jährige, der auf der Anklagebank Platz nimmt, soll an jenen Sonntagnachmittag vor einem halben Jahr mitten in der Heilbronner Innenstadt so stark auf das Gaspedal getreten haben, dass er die Kontrolle über seinen 300 PS-starken Sportwagen verlor. In der Tempo-40-Zone raste er mit rund 100 Stundenkilometern in das Auto eines 42-Jährigen, als dieser mit seiner Familie aus einer Ausfahrt fahren wollte. Der Mann starb in den Trümmern seines Wagen, seine Frau wurde schwer, die beiden Kinder leicht verletzt. Auch der 21-Jährige und seine ein Jahr jüngere Beifahrerin erlitten leichte Verletzungen.

Dabei hätte der junge Autofahrer wissen müssen, was drohen konnte, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Schon kurz vor dem fatalen Crash mit dem hochtourigen Sportwagen soll der Türke fast eine Fußgängerin an einem Zebrastreifen überfahren haben. Die Frau habe gerade noch ausweichen können, sagte die Staatsanwältin. Sie ist sicher: Spätestens in diesem Moment fasste der mutmaßliche Raser einen bedingten Tötungsvorsatz und beschleunigte. Der junge Mann habe das Risiko bewusst akzeptiert, die Gefahr aber »billigend in Kauf« genommen. Andere seien ihm bei seiner Raserei »völlig gleichgültig« gewesen. Das Opfer und seine Familie hätten keine Chance gehabt. Der Vorwurf vor allem: Totschlag.

Allerdings schließt die Große Jugendkammer auch nicht aus, dass der 21-Jährige noch härter bestraft werden könnte. Das Gericht wolle zumindest prüfen, ob in diesem Fall auch ein Mordvorwurf in Frage kommen könnte, sagte der Vorsitzende Richter. »Ein Totschlag wird dann zum Mord, wenn ein Mordmerkmal hinzukommt«, erläuterte er. »Und hier steht die Heimtücke im Raum. Wenn ich einen Menschen töte, indem ich heimtückisch handle, dann wird der Totschlag zum Mord.« Bis mindestens Mitte Dezember wird es nun darum gehen, Merkmale für einen Mord abzuwägen. Dabei muss die Große Jugendkammer sich auf Zeugenaussagen und Gutachten verlassen, denn der bei der Polizei als Temposünder bekannte Angeklagte äußert sich zunächst nicht.

Illegale Autorennen gelten bereits seit Oktober 2017 als Straftat. Seitdem kann schon die Teilnahme mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Strafbar ist allerdings auch ein »Rennen gegen sich selbst«. Der Paragraf 315d sieht zudem bis zu zehn Jahre Haft vor, wenn der Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen durch ein »verbotenes Kraftfahrzeugrennen« verursacht wird.

Der Heilbronner Fall ist keineswegs eine juristische Premiere. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Mordanklagen nach Rasereien oder illegalen Autorennen gegeben. Besonders bekannt wurde der Fall zweier Männer, die sich 2016 auf dem Berliner Ku'damm ein Rennen geliefert hatten, bei dem ein unbeteiligter Rentner starb. Hier wurde ein Fahrer wegen Mordes und der zweite wegen versuchten Mordes verurteilt.

Für Schlagzeilen sorgte auch ein Prozess in Stuttgart vor vier Jahren: Ein damals 21-Jähriger hatte bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über einen gemieteten Sportwagen verloren. Er kollidierte mit seinem Auto mit einem Kleinwagen, in dessen Trümmern zwei Menschen starben. Angeklagt war der junge Mann wegen Mordes, verurteilt wurde er zu fünf Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags.

Auch bei anderen Raser-Mordprozessen ist es längst nicht immer zu entsprechenden Verurteilungen gekommen. Es bleibt stets die Frage, ob dem Angeklagten ein Tötungsvorsatz und Mordmotiv nachgewiesen werden kann. Selbst ein Autorennen mit Todesfolge ist also nicht immer gleich als Mord anzusehen.

Pressemitteilung vom 21.02.23

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