STUTTGART. Die Mehrheit der Eltern hatte sich schon lange für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) ausgesprochen, ab dem kommenden Schuljahr 2025/26 ist es nun tatsächlich so weit. Es wird aufwachsend mit den Klassen 5 und 6 gestartet. Konkret bedeutet dies: Kinder, die momentan in der fünften oder vierten Klasse sind, werden am Gymnasium ab dem kommenden Schuljahr das Gymnasium in neun Jahren abschließen.
Eine Rückkehr zum alten G9 solle es aber nicht werden, so hatte es jedenfalls die grün-schwarze Landesregierung verkündet. »Das neue G9 wird zeitgemäßer«, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann höchstpersönlich klargestellt. Wie die Bildungsreform im Detail aussehen wird, dazu hat das Kultusministerium nun Einzelheiten bekannt gegeben.
Wie soll das neue G9 aussehen?
Das neue G9 umfasst laut Kultusministerium fünf zentrale Neuerungen: Gestärkt werden sollen die Grundlagenfächer Deutsch und Mathematik in der Unterstufe und der naturwissenschaftlichen Bereich. Auch die Demokratiebildung und die berufliche Orientierung sollen in Zukunft ausgebaut werden. Die Lern- und Leistungsentwicklung soll durch ein individuelles Schülermentoring verbessert werden. Das Kultusministerium schreibt dazu: »In den vergangenen Monaten haben wir in zahlreichen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis die Anforderungen an ein neues G9 definiert.« Ziel sei es gewesen, den Kindern die »richtigen Kompetenzen und Fähigkeiten für die Herausforderungen von Morgen« mitzugeben.
Werden die Schüler mit dem künftigen G9 zeitlich entlastet?
Eine der größten Kritikpunkte am bisherigen G8 war die hohe Zahl an Wochenstunden vor allem in der Mittel- und Oberstufe. Im Vergleich zum bisherigen G8 sollen Schülerinnen und Schüler im G9 durch eine Reduzierung der Wochenstunden tatsächlich entlastet werden. Für viele bedeutet das wohl vor allem weniger Nachmittagsunterricht. Pro Klassenstufe könnten in Zukunft bis zu drei Schulstunden pro Woche wegfallen.
Was verändert sich in den Fächern Mathe und Deutsch?
Die Grundlagenfächer Deutsch und Mathe sollen durch zusätzlichen Unterricht in der Unterstufe gestärkt werden. Das Fach Deutsch bekommt in den Klassen 5, 6 und 7 jeweils eine Wochenstunde dazu. Bisher wurden in Stufe 5 und 6 jeweils vier Wochenstunden Deutsch unterrichtet, im künftigen G9 werden es fünf Stunden sein. Das Fach Mathe bekommt in Klasse 5 eine Extrastunde pro Woche hinzu, bisher waren es vier, in Zukunft fünf.
Was gilt in Zukunft für den naturwissenschaftlichen Bereich?
In diesem Bereich gibt es die wohl größte Überraschung. Das Profilfach »Informatik, Mathematik, Physik« (IMP) wird eingestellt, da die einzelnen Fächer laut Kultusministerium insgesamt eine Aufwertung erfahren. »Informatik ist im 21. Jahrhundert Teil der Allgemeinbildung. Der Medienbildung kommt darüber hinaus auch gesellschaftlich eine hohe Relevanz zu. Wir führen deshalb das Pflichtfach «Informatik und Medienbildung» durchgängig von Klasse 5 bis 11 ein«, erklärt Simone Höhn, Pressereferentin aus dem Ministerium, auf GEA-Nachfrage. Künftig werde es in diesem Bereich daher nur noch das Profilfach »Naturwissenschaft und Technik« (NwT) geben.
In den Naturwissenschaften sollen zudem die Fächer Biologie, Chemie und Physik gestärkt werden. Das Fach »Biologie, Naturphänomene und Technik« (BNT) in Klasse 5 und 6 wird aufgelöst. Die dort bisher im Umfang von vier Wochenstunden verankerten Fachanteile Biologie sollen dem Fach Biologie zugeführt werden.
Warum bekommt die Demokratiebildung mehr Gewicht?
Demokratiebildung, so das Kultusministerium, trage entscheidend dazu bei, junge Menschen zu selbstverantwortlichem und demokratischem Handeln in unserer Gesellschaft zu befähigen. Sie soll daher im neuen G9 insbesondere mit projekt- und praxisorientiertem Lernen gestärkt werden. Und zwar von Klasse 5 an bis in die Oberstufe.
Was hat es mit systematischem Mentoring auf sich?
Die Landesregierung will in Zukunft fachübergreifende individuelle Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler durch systematisches Mentoring fördern. »Das Mentoring ist an allen Gymnasien verbindlich und für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend«, schreibt das Kultusministerium. Es soll sich dabei auf zwei besonders relevante Klassenstufen, die Klassen 7 und 10, fokussieren.
Ist die Bildungsreform schon beschlossen?
Nein. Der Gesetzentwurf zur Bildungsreform, zu dem auch das neue G9 gehört, befindet sich momentan in der Anhörungsphase. Im Anschluss wird er noch einmal dem Kabinett vorgelegt, bevor der Landtag über den Gesetzentwurf entscheidet. Dies ist für Ende Januar 2025 geplant.
Wo gibt es Kritik?
Der Informatiklehrkräfteverband (ILLBW) und der baden-württembergischen Philologenverband begrüßen zwar, dass Informatik künftig durchgehend ab Klasse 5 unterrichtet werden soll. Sie kritisieren jedoch die Vermischung von Informatik mit dem Fach Medienbildung. »Informatik ist eine eigenständige Fachwissenschaft und sollte deshalb als eigenständiges Fach, wie Chemie, Physik usw. unterrichtet werden«, so die Verbände in einem gemeinsamen Schreiben.
Martina Scherer, Landesvorsitzende des Philologenverbands, sieht zwar viele ihrer Forderungen im neuen G9 umgesetzt, kritisiert aber die künftig reduzierte Stundenanzahl in den beiden Fremdsprachen. Scherer spricht sich zudem dafür aus, auch im künftigen G9 an den bestehenden Profilgymnasien festzuhalten: »Latein ab Klasse 5, Musik oder Sport-Profile, Hochbegabtenzüge und weitere ›besondere‹ Gymnasien müssen unbedingt erhalten bleiben. Sie stärken die Vielfalt unserer Bildung und somit unserer Gesellschaft.« (GEA)