Die Hoffnung, dass es mit der Familiengründung im runderneuerten Domizil gleich im ersten Jahr klappt, war bei allen Beteiligten stetig gewachsen. Kailash und ihr Partner Ladakh hatten die im März 2018 eröffnete Gebirgslandschaft gut angenommen. Die beiden teilten sich einen gemeinsamen Liegeplatz und vertieften sich mit Beginn der Paarungszeit im Januar in innige Fellpflege. »Wir schreiben uns immer die Daten auf, an denen der Kater auffällig an seiner Katze interessiert ist«, erklärt Tierpfleger Andreas Wössner. »So haben wir im Blick, wann wir ungefähr mit Nachwuchs rechnen können. Ob es klappt, weiß man aber natürlich nie genau.« So wurde für Kailash im März schon einmal die Wurfbox im Innengehege vorbereitet, zu der sie Tag und Nacht Zugang hatte. »Wir haben ein Bäuchlein gesehen und gehofft, dass wir nicht nur zu gut gefüttert haben«, berichtet Wössner. »Einen Monat vor der Geburt hat sie sich dann nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber in die Wurfbox zurückgezogen.« Ihre Jungtiere brachte Kailash am 29. April schließlich ganz unbeobachtet zur Welt. Beim abendlichen Kontrollblick in den Stall war sie schon ganz mit der Versorgung der noch dunkel gefärbten Neugeborenen beschäftigt.
Auch in den folgenden Tagen wich sie ihrem Nachwuchs nicht von der Seite. »In der ersten Woche kümmert sich die Katze eigentlich nur um die Jungtiere und frisst selbst nicht«, erzählt der Tierpfleger. Die Welpen wiegen bei der Geburt nur etwa 450 Gramm und sind anfangs blind. Erst nach sieben bis zehn Tagen öffnen sie ihre Augen. »Inzwischen schleppt Kailash das Fleisch bereits in die Nähe der Kleinen. Sie probieren schon die ersten Bissen, obwohl Milch im Moment noch ihre Hauptnahrung ist.« Im Alter von acht Wochen verlassen kleine Schneeleoparden zum ersten Mal ihre Wurfhöhle. Ihre großen Tatzen richtig einzusetzen, will dann erst einmal geübt sein. »Anfangs schleichen sie eher, da schleift der Bauch noch über den Boden«, sagt Wössner. »Um aber draußen gut zurechtzukommen, müssen sie sich wirklich sicher fortbewegen können.«
Damit die Zwillinge für ihr erstes Abenteuer in der Gebirgslandschaft gut gerüstet sind, stand heute Morgen die erste tierärztliche Untersuchung auf dem Plan. Dabei konnte zudem das Geheimnis um die Geschlechter gelüftet werden: Eine Katze und ein Kater erfreuen sich bester Gesundheit. Nach der obligatorischen Impfung öffnete sich für die kleinen Schneeleoparden zum ersten Mal die Tür zur ihrem neuen Reich: Die am Hang gelegene Freianlage ist dem zentralasiatischen Hochgebirge, dem natürlichen Verbreitungsgebiet der Schneeleoparden, nachempfunden. Zwischen Granitbrocken, Geröll und Baumstämmen wachsen Latschenkiefer, Enzian und Glockenblume. Nach kurzem Zögern tapsten die Geschwister vorsichtig und noch ein wenig unbeholfen an der Seite ihrer Mutter nach draußen. Ihr Revier dürfen die beiden nun täglich Schritt für Schritt erkunden. Der Zugang zum Innengehege bleibt dabei geöffnet, um Kailash und ihren Schützlingen zum Ruhen oder Säugen einen geschützten Rückzugsraum zu bieten. So können die Katzen selbst entscheiden, wann sie sich den Wilhelma-Gästen auf der Außenanlage zeigen möchten.
Vom benachbarten Gehege aus kann Vater Ladakh verfolgen, wie sein Nachwuchs mit großen Augen die Welt entdeckt. Wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, soll er die Zwillinge persönlich kennenlernen. Obwohl Schneeleoparden in der Regel Einzelgänger sind, hatte er schon bei dem ersten Wurf mit Kailash unter Beweis gestellt, dass er seinen Teil zur Erziehung seiner Zöglinge beitragen kann. Die im Juli 2013 geborenen Drillinge waren die letzten Jungtiere, die noch im alten Schneeleoparden-Gehege zur Welt gekommen waren. Um den kletterfreudigen Katzen mehr Platz und bessere Aufzuchtbedingungen bieten zu können, wich diese in die Jahre gekommene Anlage gegenüber der Bärenfelsen einem Neubau. Rund 1,6 Millionen Euro investierten der Landesbetrieb Wilhelma und sein Förderverein in das Projekt. In eineinhalb Jahren Bauzeit wurden die Innenställe modernisiert und das komplette Areal hangabwärts erweitert. Das so entstandene Außengehege erstreckt sich mit 730 Quadratmetern über die vierfache Fläche der ursprünglichen Anlage.
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Schneeleoparden liegt hauptsächlich in der Mongolei, in China und Indien. In Höhen von bis zu 6000 Metern führen die meist dämmerungsaktiven Gebirgsbewohner ein eher zurückgezogenes Leben. Obwohl sich das Habitat der Schneeleoparden insgesamt über mehr als 1,7 Millionen Quadratkilometer erstreckt, gibt es nur noch geschätzte 4.000 Tiere. Angesichts des stark zurückgehenden Freilandbestandes ist die Nachzucht der bedrohten Schneeleoparden in den Zoos weltweit von besonderer Bedeutung. Die Wilhelma unterstützt den Erhalt dieser Art nicht nur durch die Teilnahme am Europäischen Erhaltungszuchtprogram, sondern engagiert sich gemeinsam mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) auch im Lebensraum der Schneeleoparden für deren Schutz. Mit Spenden fördert der Zoologisch-Botanische Garten unter anderem eine Anti-Wilderer-Einheit und ein Rehabilitationszentrum für beschlagnahmte und verletzte Tiere in Kirgistan. (pr)