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Schüler: Steuerrecht und gleiches Geld für Lehrkräfte

Vor Jahren beschwerte sich eine Schülerin darüber, dass sie Gedichtinterpretation lernen muss, aber zu wenig praktisches Finanzwissen beigebracht bekommt. Das löste eine Bildungsdebatte aus. Viel bewegt hat sich seitdem nicht, sagt der Landesschülerbeirat.

Schule
Ein Lehrer steht im Unterricht an der Tafel. Foto: Marijan Murat
Ein Lehrer steht im Unterricht an der Tafel.
Foto: Marijan Murat

Lehrer sollten aus Sicht des Landesschülerrats stärker unterrichten, wie Steuererklärungen ausgefüllt, Versicherungen abgeschlossen und Mietverträge verhandelt werden. »Zum Leben gehören nicht nur Vektorrechnung und Gedichtanalyse, sondern auch steuerrechtlicher Unterricht und Analysestrategien«, sagte Augustin Renz, der für den Rat das neue Grundsatzprogramm mitentworfen hat. »Es ist schlicht absehbar, dass unsere Generation privat vorsorgen muss und sich auch mit der Steuerthematik schnell konfrontiert sehen wird.«

In ihrem alle zwei Jahre aufgestellten Forderungskatalog sprechen sich die Schülerinnen und Schüler neben Forderungen für alle Schularten auch für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium und eine Wahlfreiheit für den »G8-Schnellzug« aus. Alle Lehrkräfte sollten zudem gleich bezahlt, eine Vorleseoffensive in den Kindertagesstätten und Grundschulen organisiert und Noten in der Grundschule abgeschafft werden.

»Wir würden uns ein Unterrichtsfach wünschen, das vom Wirtschaftsunterricht abgegrenzt ist und Dinge behandelt, die wir von den Eltern gar nicht oder auch aufwendig beigebracht bekommen«, sagte der Vorsitzende des Landesschülerbeirats, Berat Gürbüz, der Deutschen Presse-Agentur. Es heiße immer, man lerne in der Schule fürs Leben. »Aber was bedeutet das, wenn wir auf ganz Alltägliches nicht vorbereitet werden?« Das Wissen über Wirtschaft und Finanzen sei nützlich, friste in den Schulen aber nach wie vor ein Nischendasein.

Geht es nach dem Landesschülerbeirat, sollte die Zeit für den »Alltagsunterricht« nicht zusätzlich in den Lehrplan aufgenommen, sondern vom Religionsunterricht abgezweigt werden. Auf diesen dürfe schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verzichtet werden, sagte Gürbüz. Sein Gremium spricht sich aber in seinem Programm dafür aus, die Stundenzahl für den Religionsunterricht zu reduzieren. »Religion sollte vor allem Privatsache sein«, sagte der 20-Jährige.

Laut Grundsatzprogramm müssen sich Lehrer zudem bewerten lassen - von den Schülerinnen und Schülern. »Niemand kann die Unterrichtsqualität besser beurteilen als sie«, sagte Renz. Wichtig sei für die Grundschulen zudem eine am Sozialindex ausgewiesene Ressourcenzuweisung, damit vor allem die Schulen Mittel erhielten, die sie am dringlichsten benötigen. Ebenfalls Teil des Programms sind Vorschläge für eine flächendeckende Ausstattung der Schultoiletten mit kostenlosen Menstruationsprodukten sowie die Einrichtung von unabhängigen Meldestellen, um bei Diskriminierung, Rassismus oder sexueller Gewalt zu alarmieren.

Zumindest bei den Eltern stößt der Landesschülerbeirat mit seiner Forderung nach alltagstauglicherem Unterricht auf Ablehnung. »Das sind in Summe schon ziemliche «Luxus- oder Randthemen»«, sagte der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Michael Mittelstaedt, der dpa. Nach wie vor hätten Kinder und Jugendliche mit Lesen, Schreiben und Rechnen sowie mit Themen wie Medienkompetenz Probleme. »Wir sollten uns wohl eher auf eine solide Grundversorgung fokussieren, sonst werden viele von ihnen nie eine Steuererklärung machen können - wegen fehlenden Einkommens«, sagte er.

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) gibt sich als Dachverband der Lehrer wenig begeistert: »Schulen haben vor allem den Auftrag, Kindern und Jugendlichen eine allgemeine Bildung und Wertehaltung zu vermitteln«, sagte dessen Bundes- und Landesvorsitzender Gerhard Brand. Sein Stellvertreter Dirk Lederle, Schulleiter in Heitersheim, warnt: »Das deutsche Steuerrecht ist ein Dschungel und von einer ungeheuren Komplexität geprägt. Dafür benötigt es speziell ausgebildete Fachberater«, sagte er. »Lehrkräfte sind hierfür nicht qualifiziert.«

Kultusministerin Theresa Schopper nannte das Grundsatzprogramm »sehr mutig«. Sie könne einige Punkte gut nachvollziehen - »zum Beispiel den Wunsch, die politische Bildung in den Schulen noch zu verstärken«, sagte die Grünen-Politikerin laut einer Mitteilung ihres Ministeriums. Den Religionsunterricht dafür zu reduzieren, finde sie falsch. »Es gibt keinen Gegensatz zwischen Demokratieerziehung und Religionsunterricht. Wir brauchen beides.«

Zum Wunsch nach mehr Finanzwissen meinte die Kultusministerin: »Wir müssen aufpassen, was wir den Schulen alles an Aufgaben zumuten wollen.« Lehrerinnen und Lehrer könnten nicht auch noch eine ausführliche Steuerberatung oder Anlageempfehlungen übernehmen. »Es gibt nicht umsonst Berufe, die sich ausführlich damit beschäftigen.«

Rückendeckung für das Programm als Ganzes kommt von der Gewerkschaft: »Der Landesschulbeirat ist auf jeden Fall innovativer als Grüne und CDU«, sagte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Monika Stein. Die Vorschläge zur Grundschule ohne Noten, zur Stärkung der Gesellschaftswissenschaften, die Ideen zum Feedback und zur gerechteren Bezahlung unterstütze auch die GEW. Für steuerrechtliche und anlagestrategische Inhalte brauche es aber kein eigenes neues Fach, sie fänden Platz im Rahmen der Bildungspläne, sagte Stein.

© dpa-infocom, dpa:230130-99-406795/5