Der Softwarekonzern SAP ist bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in die Offensive gegangen. Das Dax-Unternehmen aus Walldorf teilte am Donnerstag der Belegschaft in Deutschland mit, ab dem kommenden Jahr Väter oder andere Partner oder Partnerinnen nach der Geburt ihres Kindes sechs Wochen bezahlt freizustellen. »Wir wollen damit zeigen, dass Familienvereinbarkeit und Karrieremachen keine Widersprüche sind«, sagte der Personalchef von SAP in Deutschland, Cawa Younosi. Er rechne mit 700 bis 800 Vätern pro Jahr, wenn mehr als 90 Prozent der Berechtigten das Angebot annehmen. Dabei sollen Kosten in Höhe von jährlich mehreren Millionen Euro anfallen.
Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP angekündigt, eine zweiwöchige vergütete Freistellung für den Partner oder die Partnerin nach der Geburt eines Kindes einzuführen. Für das Vorhaben kursieren unterschiedliche Begriffe, mal ist von Vaterschaftsurlaub, mal von Väterzeit die Rede - da es meistens Vätern zugutekäme. SAP nennt sein Programm »Partnerzeit«.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sprach am Dienstag über das Vorhaben und nannte es »Familienstartzeit«. Damit solle dem Partner oder - bei lesbischen Paaren - der Partnerin Zeit gegeben werden, sich um die Mutter zu kümmern und sie bei der Regeneration zu unterstützen. Der Gesetzentwurf werde derzeit innerhalb der Bundesregierung beraten. Im November des vergangenen Jahres hatte Paus noch eine Umsetzung für das Jahr 2024 angekündigt. Auf Anfrage wollte sich das Ministerium nun zu einem konkreten Zeitpunkt nicht offiziell äußern.
Dass SAP mit dem Programm ein Vorreiter zu sein scheint, zeigen Anfragen bei mehreren Dax-Unternehmen. Die meisten heben in ihren Antworten bestehende Angebote hervor und betonen, sich an neue Gesetze halten zu wollen. So weit wie SAP lehnte sich aber keines der angefragten Unternehmen aus dem Fenster. Vereinzelt gab es auch Kritik an dem Vorhaben der Koalition.
So begrüßte Siemens zwar den Ansatz einer Väterzeit hinsichtlich einer Gleichverteilung der familiären Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern. »Aus Siemens-Sicht sollte jedoch - wie beim Elterngeld - die Freistellung aus Steuermitteln finanziert werden und nicht den Arbeitgebern aufgebürdet werden«, teilte der Münchener Konzern mit.
»Eine zusätzliche Väterzeit halten wir vor dem Hintergrund unserer bereits bestehenden Angebote und der damit möglichen Flexibilität nicht für notwendig«, teilte der Autozulieferer und Reifenhersteller Continental mit.
»Das bestehende Elternzeitmodell ist ein Erfolg«, teilte Thomas Ogilvie, Personalvorstand der DHL Group, mit. Die bisherigen Möglichkeiten seien gut etabliert und würden von Vätern wie Müttern gerne in Anspruch genommen. Aus Sicht des Unternehmens müssten diese nicht geändert werden. Derzeit gebe es einen Tag Sonderurlaub für die Geburt und die Elternzeit, sonst aber keine weitere Freistellung.
Der Sportwagenbauer Porsche begrüßte die Pläne der Bundesregierung. »Eine bezahlte Freistellung zu Beginn der Vaterschaft trägt zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei«, teilte eine Sprecherin mit. Zugleich bedauere Porsche, dass das Bundeskabinett die Einkommensgrenze pro Familie für den Anspruch auf Elterngeld halbiert hat.
Der Konsumgüterkonzern Beiersdorf findet das Vorhaben gut. Auch die Deutsche Telekom befürworte Maßnahmen, die eine gute Balance zwischen Job und Familie unterstützen, teilte ein Sprecher mit. Beim Pharma- und Technologiekonzern Merck stehe man dem Thema ergebnisoffen gegenüber. Da das Unternehmen mit seinem Angebot bereits sehr gut aufgestellt sei, plane es momentan keine Erweiterungen.
In zahlreichen Unternehmen in Deutschland gibt es einer aktuellen Umfrage zufolge keinen Sonderurlaub für Väter nach der Geburt eines Kindes. Das sei in 44 Prozent der befragten Unternehmen der Fall, geht aus einer Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Familienministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Demnach gewähren 26 Prozent der befragten Unternehmen einen Tag, bei weiteren 26 Prozent sind es zwei Tage. Bei lediglich vier Prozent seien es mehr als zwei Tage.
Dass fast der Hälfte der Unternehmen der Nachwuchs ihrer Beschäftigten nicht einmal einen einzigen Tag Sonderurlaub wert ist, spreche Bände über deren Wahrnehmung in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie, teilte Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, mit. Es sei gut und richtig, dass die Familienstartzeit jetzt endlich kommen soll. »Wir setzen darauf, dass die Koalition sie schnell ins Gesetzblatt bringt.« Das wäre ein wichtiges Signal, um die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Anfang an zu stärken.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) teilte mit, es zu begrüßen, dass viele Partner mit der Geburt ihrer Kinder mehr Verantwortung übernehmen wollen. Dafür brauche man allerdings keine neuen gesetzlichen Ansprüche. Elternzeit und Elterngeld gäben Familien bereits seit längerem die Möglichkeit, ab der Geburt im Beruf eine Pause einzulegen. »Die Politik muss sich entscheiden, ob sie neue Freistellungsansprüche umsetzen möchte - oder ob sie den Arbeitskräftemangel lindern möchte«, so die BDA. Beides zusammen gehe nicht. Eine einseitige finanzielle Belastung für Unternehmen wäre zudem inakzeptabel.
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