Damit das Land bis 2040 klimaneutral werden kann, braucht es in Baden-Württemberg deutlich mehr Wasserstoff als bislang angenommen. Das geht aus den Ergebnissen einer Bedarfserhebung des Umweltministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen und am Dienstag auch im Kabinett vorgestellt werden sollten. Demnach werden im Jahr 2035 73,5 Terawattstunden Wasserstoff benötigt, bis ins Jahr 2040 steigt der Bedarf sogar auf 90,7 Terawattstunden. Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden.
Die Bedarfe fallen damit deutlich höher aus als in den bisherigen Studien und Abfragen. Eine von der Plattform H2BW in Auftrag gegebene Studie kam im Januar 2022 etwa zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2035 16,6 Terawattstunden Wasserstoff in Baden-Württemberg benötigt wird. Die neue Erhebung prognostiziert im Vergleich dazu einen mehr als viermal so hohen Bedarf.
Außerdem wird der Wasserstoff nach Angaben des Ministeriums sehr viel früher benötigt, als bislang gedacht. So gebe es bereits in den kommenden Jahren einen moderaten, aber konkreten Bedarf - etwa 4,1 Terawattstunden im Jahr 2025. Bislang hätten Studien und Abfragen bis 2030 so gut wie gar keinen Bedarf prognostiziert. Als Grund für den erhöhten Bedarf in den kommenden Jahren führt das Umweltministerium vor allem den Angriffskrieg gegen die Ukraine an. Dieser und die Energiekrise hätten die Entwicklung um fünf bis zehn Jahre beschleunigt, hieß es.
Für die Bedarfserhebung hatte das Umweltministerium gemeinsam mit verschiedenen Verbänden die Unternehmen im Land dazu aufgerufen, ihre erwarteten Wasserstoffbedarfe zu melden. Von April bis Ende Oktober gingen laut Umweltministerium 474 Meldungen ein, auf deren Basis das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) den Gesamtbedarf errechnete.
Wasserstoff gilt als eine Art Alleskönner im Kampf gegen den Klimawandel. Das geruchs- und farblose Gas kann in Industrie und Verkehr die Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas ersetzen. Es wird durch die sogenannte Elektrolyse gewonnen, bei der Wasser (H2O) unter Einsatz von Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) gespalten wird. Wird dafür Strom aus Erneuerbaren Energien genutzt, spricht man von grünem Wasserstoff. Dieser kann in einer Brennstoffzelle dann wieder Strom erzeugen.
Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sieht sich durch die neue Erhebung in ihrem Kurs bestätigt. »Der Schwerpunkt der letzten Monate auf den Ausbau der Infrastruktur mit Fachdialogen, Spitzengesprächen und einer gemeinsamen Erklärung hat sich als richtig erwiesen«, sagte Walker. Entscheidend sei der Ausbau der Fernleitungsnetze. »Wir haben jetzt eine gute Grundlage für die weitere Planung einer leistungsfähigen Wasserstoff-Infrastruktur«, so Walker. Sie werde die Ergebnisse der Erhebung auf der Bundesebene einbringen. »Um darauf hinzuwirken, dass der Industrie- und Technologiestandort Baden-Württemberg frühzeitig an ein deutsches und europäisches Wasserstoffnetz angebunden wird.«
Aus Sicht der CDU braucht es neben dem Ausbau des Wasserstoffnetzes auch den Aufbau eigener Elektrolyse-Kapazitäten in Baden-Württemberg. »Das hat den doppelten Vorteil, dass der dringend von unseren Unternehmen benötigte Wasserstoff bereits 2025 im Land verfügbar sein wird und unsere Unternehmen früh das Know-how zum Bau von Wasserstoff-Elektrolyseuren entwickeln«, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Raimund Haser. Die SPD forderte die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft zum Ausbau der Versorgung.
Die Ergebnisse der Erhebung zeigten den großen Hunger der Südwest-Wirtschaft auf Wasserstoff, sagte der Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), Jan Stefan Roell. »Im Schwerpunkt sehen wir weiterhin den Ausbau und die Umstellung der Infrastruktur auf Fernleitungs- und Verteilnetzebene, die Sicherung von großskaligen Wasserstoff-Importmengen sowie eine schnelle Umsetzung von eigenen Wasserstoff-Produktionskapazitäten.« Aus Sicht des Verbands für Energie- und Wasserwirtschaft müssen die Ergebnisse der Erhebung nun regionalisiert werden, damit auch geplant werden könne, wie der Wasserstoff zu den vielen Mittelständlern im ganzen Land komme.
Gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern will das Land Baden-Württemberg Erleichterungen beim Bau von Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff im Bundesrat erreichen, teilte die niedersächsische Landesregierung mit. Ziel sei es, dass Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff, sogenannte Elektrolyseure, bis 130 Megawatt Leistung immissionsschutzrechtlich in einem vereinfachten Verfahren genehmigt werden, für kleine Anlagen unter fünf Megawatt sollte die Genehmigung ganz entfallen. Das soll den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.
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