Der russische Einmarsch in die Ukraine hat weitreichende Folgen auch für Menschen und Wirtschaft in Baden-Württemberg. Nach tagelangen vergeblichen Appellen Richtung Moskau verurteilen Politiker im Südwesten den Angriff scharf, Unternehmer zeigen sich besorgt und ziehen erste Konsequenzen: Deutschlands größter Freizeitpark, der Europa Park in Rust, setzt die umstrittene Zusammenarbeit mit dem Pipelineprojekt »Nord Stream 2« aus.
Die Landesregierung bereitet sich auf geflüchtete Menschen aus dem osteuropäischen Land vor. »Wir müssen uns vorsorglich darauf einstellen, dass Putins Krieg Fluchtbewegungen auslöst und Menschen vor diesem Krieg auch zu uns nach Baden-Württemberg flüchten können«, sagte Landesjustizministerin Marion Gentges am Donnerstag. Landtag und Neues Schloss in Stuttgart leuchteten am Abend in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb, um ein »sichtbares Zeichen der Solidarität« zu setzen.
In mehreren Städten demonstrierten Menschen zudem gegen den Angriff, darunter vor dem russischen Honorarkonsulat in Stuttgart. Dort sollen nach Schätzungen mehr als 100 Menschen zusammengekommen sein. Demonstrationen und Kundgebungen waren unter anderem auch in Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Freiburg geplant.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, gegen alle Regeln der internationalen Ordnung und des Völkerrechts zu verstoßen. Er habe »Europa und die Welt in eine tiefe Krise gestürzt, die an die dunkelsten Zeiten des europäischen Kontinents erinnern«, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Wochen gemeinsam mit den europäischen Partnern alles getan, um die Situation zu entschärfen. »Aber wir müssen heute leider erkennen, dass Russland ohne jede Rücksicht die Spirale der Eskalation fortschreibt und Denkmustern folgt, die wir in Europa längst überwunden geglaubt hatten.«
Putin habe »seine Maske fallen lassen und einen feigen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf einen demokratischen Staat begonnen«, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). In Europa müsse man nun näher zusammenrücken und die Reihen zwischen den Staaten, in der EU und in der Nato eng geschlossen halten.
Die Südwest-FDP verzichtet als Folge der Krise auf ihre große Veranstaltung zum traditionellen politischen Aschermittwoch. CDU, Grüne und SPD hatten angesichts der Corona-Lage sowieso nichts geplant.
Viele Narren haben hingegen zum »Schmotzigen Dunschtig« den Beginn der Hochphase der schwäbisch-alemannischen Fastnacht gefeiert - trotz Corona und des russischen Einmarsches in die Ukraine. »Wir haben teils um 4 Uhr morgens angefangen und erst danach davon gehört«, sagte der Sprecher der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, Volker Gegg. »Da kann man keinem vorwerfen, dass er es nicht abgesagt hat.« Eine Absage von Veranstaltungen - wie wegen des ersten Golfkriegs im Jahr 1991 - werde in den kommenden Tagen zwar wohl bei einigen Narren noch diskutiert werden, sagte Gegg. Er fügte aber hinzu: »Wenn wir wegen jedem Krieg abgesagt hätten, hätten wir in den letzten 50 Jahren wahrscheinlich nie eine Fastnacht gehabt.«
Erste Konsequenzen hat der Krieg in der Ukraine dagegen für den Europa-Park in Rust: Deutschlands größter Freizeitpark und der Gaspipeline-Betreiber Nord Stream 2 werden wegen des Kriegs um die Ukraine mit sofortiger Wirkung und bis auf weiteres nicht mehr zusammenarbeiten, wie eine Sprecherin sagte. Auf den Internetseiten wurden die Achterbahn »blue fire Megacoaster« und der »blue fire Dome«, wo das Publikum unter anderem auf großen LED-Bildschirmen Eindrücke von der Unterwasserwelt der Ostsee bekommen soll, bereits umbenannt. Um welche Summen es geht, sagte die Europa-Park-Sprecherin nicht.
Das Genehmigungsverfahren für die russisch-deutsche Erdgasleitung Nord Stream 2 hatte die Bundesregierung bereits Anfang der Woche gestoppt.
Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) rechnet zwar mit Folgen für die Unternehmen im Land, sie geht aber von einem »eher niedrigen Gesamtniveau« aus: »Baden-Württembergs Wirtschaft ist international sehr diversifiziert aufgestellt«, sagte sie. »Aber natürlich wirkt sich diese schwere Krise auch auf die wirtschaftlichen Beziehungen aus.« Der Krieg werde sich insbesondere die stark exportorientierten Leitbranchen auswirken.
Auch Mercedes-Benz-Vorstandschef Ola Källenius zeigte sich besorgt: Es sei noch unklar, welche Auswirkungen der Konflikt haben werde, sagte der Manager bei der Bilanzpressekonferenz. Der Hersteller habe keinen Standort in der Ukraine, aber ein Werk in der Nähe von Moskau mit rund 1000 Beschäftigten. »Selbstverständlich sind wir mit unseren Leuten in Kontakt«, sagte der Mercedes-Chef.
Sorgen macht sich auch der Kurort Baden-Baden. Er befürchtet Einbrüche im Tourismus. »Wir blicken mit großer Sorge und Bedauern auf das Geschehen«, sagte Tourismuschefin Nora Waggershauser der Deutschen Presse-Agentur. Touristen aus der früheren Sowjetunion - vor allem Russen, aber auch viele Ukrainer - sind beliebte Gäste in dem Kurort. Sie kommen zum Kuren und Einkaufen nach Baden-Baden.
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