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Riesenproblem: Schulschwänzen an Stuttgarter beruflichen Schulen

Rund 1.500 Schüler besuchten nicht oder kaum den Unterricht an Stuttgarter beruflichen Schulen.

Abhängen statt Schule. Das ist ein zunehmendes Problem.  FOTO: BURGI/DPA
Abhängen statt Schule. Das ist ein zunehmendes Problem. FOTO: BURGI/DPA
Abhängen statt Schule. Das ist ein zunehmendes Problem. FOTO: BURGI/DPA

STUTTGART. Schulschwänzer haben früher Besuch von der Polizei bekommen. Die Beamten haben die Jugendlichen dann zur Schule gefahren. »Das waren Einzelne, die konnte man abholen lassen«, sagt Felix Winkler, der geschäftsführende Schulleiter der beruflichen Schulen, der sich noch gut an die vor 25 Jahren vorfahrenden Polizeiautos erinnern kann. Heute wäre das undenkbar. Der Grund: Es gibt zu viele fehlende Schülerinnen und Schüler, als dass die Polizei für diese Aufgabe die Kapazität hätte. Seit Jahren, aber besonders seit der Pandemie, nehme die Anzahl »kontinuierlich« zu. Auf rund 1.500 schätzt Winkler inzwischen die Zahl derer, die nicht oder kaum in den Unterricht kommen. Angesichts von 26.000 Schülerinnen und Schülern, die in Stuttgart insgesamt eine berufliche Schule besuchen, sei das eine klare Minderheit – aber eine, die ihm erhebliche Sorgen macht. »Schulabsentismus ist ein Riesenproblem«, sagt er.

Unterschiedliche Faktoren

Seine Einschätzung passt zu einer Ende März veröffentlichten Umfrage des Berufsschullehrerverbands, der zufolge Schulabsentismus »zum größten Problem« in gewissen Schularten geworden sei: und zwar in der Ausbildungsvorbereitung (AV dual und Jungarbeiterklassen) sowie in den Sprachklassen für Geflüchtete, die unter der Abkürzung Vabo geführt werden. Auch in Stuttgart sind diese Schularten besonders betroffen – darüber hinaus nennt der geschäftsführende Rektor aber auch das zur Fachhochschulreife führende Berufskolleg, wo Schulabsentismus ebenfalls zunehme. Im zweijährigen Berufskolleg liege die Verlustquote derer, die im zweiten Schuljahr nicht mehr dabei seien, bei rund einem Drittel. »Das ist dramatisch«, sagt Winkler. Das seien 400 junge Menschen, die sich nicht weiterentwickelten.

Doch woran liegt der zunehmende Schulabsentismus? In der Umfrage des Berufsschullehrerverbands ist eine Vielzahl an Faktoren aufgeführt, die die Schulleiter als Ursachen aufgeführt haben: neben Lustlosigkeit und Desinteresse sind das psychische Probleme oder Erkrankungen, aber auch soziale Faktoren. Dass Eltern zum Beispiel ihre Kinder nicht unterstützen (können), dass es Probleme im Elternhaus gibt oder dass die Betroffenen stark zuhause eingebunden sind, weil sie sich zum Beispiel um jüngere Geschwister kümmern müssen. Fehlende Erfahrungen mit dem hiesigen Bildungssystem spielten zudem oft bei geflüchteten Schülern eine Rolle. Sei ein Schüler darüber hinaus bereits volljährig, komme der Druck hinzu, bereits Geld zu verdienen, heißt es in einer Mitteilung zur Umfrage. Darin werden unter anderem mehr Schulsozialarbeiter, aber auch Sanktionsmaßnahmen gefordert.

Auch Felix Winkler glaubt, dass viele Faktoren zu Schulabsentismus führen. »Das ist vielschichtig«, sagt er, vor allem psychische Probleme hätten stark zugenommen. Mit Schulsozialarbeitern seien sie in Stuttgart gut ausgestattet. Mit diesen habe man viele pädagogische Maßnahmen gestartet. So mache man unter anderem Kennenlernwochen, damit die Klassengemeinschaft zusammenwachse. »Pädagogisch ist das ausgereizt«, meint Winkler. Natürlich könnte man Bußgeld- oder sogar Zwangsgeldverfahren anstrengen. Das sei aber ein sehr großer Aufwand. Ob es etwas bringt, die Schüler in die Schule zu zwingen? Winkler ist da skeptisch.

Kein Durchhaltevermögen

Die Schule, ist er überzeugt, könne das Problem jedenfalls nicht alleine lösen. Er sieht vor allem die Eltern in der Pflicht, sie müssten »intensiv ins Boot geholt« werden. Ihnen müsse klar werden, dass eine große Gefahr bestehe, dass ihre Kinder nicht ins Arbeitsleben zurückfinden. Schon jetzt sei es ein Problem, dass vielen Schülern das Durchhaltevermögen fehle und sie Probleme hätten mit dem selbstständigen Arbeiten. Eine Schulart der beruflichen Schulen sei übrigens fast gar nicht von Schulabsentismus betroffen: die Berufsschulen, die Auszubildende während ihrer Ausbildung besuchen. Wer hier fehlt, schafft seine Ausbildung nicht – und setzt damit auch sein Ausbildungsgehalt aufs Spiel. Bei denen, die Motivationsprobleme hätten, spiele das Geld durchaus die entscheidende Rolle, um dabeizubleiben, meint Winkler. (GEA)