STUTTGART/REUTLINGEN. Den Antrag in sechsfacher Papier-Ausfertigung abgeben, dem Bescheid monatelang entgegenfiebern, die Zusage persönlich bei der Behörde abholen: Diese Zeiten sind vorbei. Bauen wird digital, einfach und schnell. Vom Antrag über die Bearbeitung bis zur Genehmigung erfolgen alle Verfahrensschritte am Computer. Das Projekt wurde vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg initiiert. Einige Kommunen setzen es bereits um. Vorn mit dabei ist Reutlingen. Die Bauämter von Stadt und Kreis haben bereits Erfahrungen gesammelt. Jetzt wissen sie, was gut funktioniert und was verbessert gehört.
Die Stadt Reutlingen bearbeitet Bauanträge seit Anfang 2023 ausschließlich digital. An der landeseigenen Online-Plattform »Virtuelles Bauamt Baden-Württemberg« (ViBa BW) beteiligt sie sich seit Anfang 2024. »Anträge müssen digital gestellt werden«, sagt Heiko Gollmer, Leiter des Bürgerbüros Bauen. »Papier nehmen wir nicht mehr an.« Das betrifft Neubauten, Nutzungsänderungen und Abbrüche. Die Neuerungen würden von den Bürgern gut angenommen, berichtet Gollmer. 414 Anträge gingen im Jahr 2023 ein, 80 Anträge im Jahr 2024.
Papieranträge bis 2025 möglich
Das Kreisbauamt Reutlingen ist kulanter: Digital-Anträge über ViBa BW offeriert es seit März 2023, Papier-Anträge akzeptiert es bis Dezember 2024, die Übergangsfrist endet im Januar 2025. »Die Digital-Option wurde von den Bürgern bisher wenig genutzt«, berichtet Amtsleiterin Rebekka Schranz. »Wir wünschen uns, dass die Möglichkeit bekannter wird.« Das Kreisbauamt ist für die meisten Städte und Gemeinden im Landkreis Reutlingen zuständig – bis auf wenige Ausnahmen wie die Stadt Reutlingen.
Nach der Antragstellung erfolgen auch alle weiteren Schritte digital: die Beteiligung der Behörden und Sachverständigen, die Bearbeitung des Vorgangs und die Bekanntgabe der Entscheidung. Alle Parteien können zeitgleich auf die Dokumente zugreifen. Nur ganz am Ende wird es noch mal analog: »Die Nachbarn werden per Brief über das Bauvorhaben informiert«, erklärt Gollmer. »Denn sie haben keinen Zugang zu ViBa BW.«
Alle Bauämter in Baden-Württemberg müssen das Genehmigungsverfahren für Bauanträge bis Januar 2025 digitalisieren, solange gilt eine Übergangsfrist. Das schreibt die im November 2023 geänderte Landesbauordnung vor. Welche Online-Plattform die Behörden nutzen, steht ihnen frei. Auf dem Markt gibt es verschiedene Anbieter. Das Portal ViBa BW wird vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen bereitgestellt. Der Zugriff setzt eine Authentifizierung voraus. Privatpersonen müssen dafür ein Nutzerkonto bei BundID einrichten, Unternehmen bei Elster, für beides braucht es einen Personalausweis mit Onlinefunktion.
Für ViBa BW entschieden haben sich bislang 197 der 208 Bauämter sowie alle vier Regierungspräsidien in Baden-Württemberg. »Ich freue mich, dass die Kommunen die Chancen ergreifen, die das Virtuelle Bauamt bietet«, sagt Bauministerin Nicole Razavi. »Baurechtliche Verfahren werden dadurch für alle komfortabler, einfacher und schneller.«
Deutschland leidet unter Überbürokratisierung. Die Wirtschaft kritisiert analoge, komplizierte und langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie als Folge mangelnde Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Hier will die Landesregierung – wie auch die Bundesregierung – mit einer Digitalisierungsoffensive in der öffentlichen Verwaltung gegensteuern. Das soll unter anderem die lahmende Bauwirtschaft ankurbeln.
Die Digitalisierung kommt bei den Bauämtern in Reutlingen gut an. Die Behördenleiter von Stadt und Kreis sehen für die Antragsteller nur Vorteile. »Die Bürger sparen das Geld für die Ausdrucke des Bauantrags«, bemerkt Gollmer vom städtischen Bürgerbüro Bauen. »Bei vier- bis zehnfacher Ausfertigung in Papierform konnte das früher teuer werden.«
Digital ist praktisch. »Die Bürger sind unabhängig von den Öffnungszeiten der Behörde«, lobt Schranz vom Kreisbauamt. »Sie können nachts um 4 Uhr Dokumente hochladen.« Auf ein weiteres Plus verweist Reutlingens Baubürgermeisterin Angela Weiskopf: »Wir sind froh, dass durch die schrittweise Anbindung einer Vielzahl von Baurechtsbehörden an das Virtuelle Bauamt einheitliche Standards für die Nutzer geschaffen werden.« Von der landesweiten Vereinheitlichung profitieren vor allem Planungsbüros, Architekten und Bauleiter. Sie stellen nämlich Bauanträge in etlichen Kommunen und Kreisen und müssen sich dafür künftig nur noch bei einem einzigen Portal – nämlich ViBa BW – anmelden.
Startprobleme werden behoben
Die Digitalisierung beschleunigt das Verfahren. »Was verschiedene Stellen analog nacheinander bearbeiten müssen, das können sie digital gleichzeitig bearbeiten«, stellt Schranz fest. »Wenn der Antragsteller alle Unterlagen vollständig einreicht, dann erteilt die Baubehörde die Genehmigung innerhalb von zwei Monaten.« Dabei kann der Antragsteller laufend den aktuellen Stand einsehen. »Das Verfahren wird transparenter«, folgert Schranz.
Nach ihrer Überzeugung verbessert das »Virtuelle Bauamt« den Bürgerservice enorm. »Was ist das Wichtigste beim Bau?«, fragt sie. Und gibt die Antwort gleich selbst: »Geld, Zeit und Planungssicherheit: All das bietet der digitale Bauantrag.« Die Gefahr der Ausgrenzung weniger digital affiner Gruppen sieht Schranz nicht. »Wenn der Bauherr den Antrag nicht digital stellen kann, dann kann er damit Planungsbüro, Architekt oder Bauleiter beauftragen.«
Noch hat die junge Plattform ViBa BW Anlaufschwierigkeiten. »Einige Bauherren tun sich schwer mit der Registrierung bei BundID«, berichtet Schranz. Und Gollmer wünscht sich eine »einzige Software für alles«. Noch braucht es für Dokumentation und Archivierung ein extra Programm. Doch auch diese Funktionen sollen bald in ViBa BW integriert werden.
Die Plattform wurde in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt, wird nun bundesweit ausgerollt und von jedem Land an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst. In Baden-Württemberg finden dafür regelmäßige Treffen zwischen dem Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen sowie den kommunalen Baubehörden statt. »Alle Projektbeteiligten arbeiten eng zusammen«, berichtet Reutlingens Baubürgermeisterin Weiskopf. »Verbesserungsvorschläge aus der Praxis werden sofort bearbeitet.«
Wichtig dafür ist die Rückmeldung von den Mitarbeitern vor Ort. »Sie wurden im Vorfeld geschult und werden jetzt weiter vom Projektteam begleitet«, erzählt Schranz. »Wir sind bereit«, sagt sie. »Jetzt kommt es auf die Bürger an. Dass sie die Möglichkeiten, die der digitale Bauantrag bietet, nutzen.« (GEA)