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Rechnungshof beklagt Förderchaos und Fehler des Landes

Neue Universitätsgebäude, in die es reinregnet, alte Theater, die nicht rentabel sind, Landärzte, die doppelt gefördert werden: Der Rechnungshof liest dem Land die Leviten. Die Ergebnisse überraschen.

Rechnungshof Baden-Württemberg
Menschen fahren vor dem Gebäude der Universitätsbibliothek in der Innenstadt von Freiburg entlang. Foto: Philipp von Ditfurth/DPA
Menschen fahren vor dem Gebäude der Universitätsbibliothek in der Innenstadt von Freiburg entlang.
Foto: Philipp von Ditfurth/DPA

Planungsmängel, Fehlförderungen, Digitalisierungschaos - der Rechnungshof prangert unrentable Projekte und wirtschaftliche Fehlentscheidungen des Landes an. Mit seiner Denkschrift legt er wieder die Finger in die Wunde. Was ihn diesmal besonders stört: Ein Förderdschungel, teils ohne Sinn und Verstand.

Kreditverzicht - An sich war die Kassenlage zuletzt gar nicht schlecht fürs Land. 2022 sei geprägt gewesen von guten Steuereinnahmen und einem hohen Kassenüberschuss, sagte die neue Rechnungshof-Präsidentin Cornelia Ruppert am Montag in Stuttgart. Die Einnahmen hätten die Ausgaben um mehr als sechs Milliarden Euro überstiegen. Aber das Land habe sich für das laufende Jahr 1,3 Milliarden Euro Kreditermächtigungen gesichert. Falls die Konjunktur sich positiv entwickle, brauche das Land gar nicht so viel Geld, so Ruppert. Sie mahnte an, das Geld nicht »rauszuschmeißen«, sondern bis zur Konjunkturprognose des Bundes im Herbst zu warten.

Digitalisierung - Das Land muss bei der Digitalisierung der Verwaltung deutlich Tempo machen, forderte der Rechnungshof. Auch dort laufe nicht alles effizient. Das Kultusministerium betreibe etwa als Nachfolge der Bildungsplattform »ella« zwei Lernmanagementsysteme parallel. »Das sollte man auf ein System konsolidieren«, sagte Ruppert. Außerdem sollten sich die Kommunen an den Kosten beteiligen. Kritisiert werden auch sogenannte Medienbrüche: So müsse man bei Förderprogrammen online Anträge ausfüllen, ausdrucken, per Post an die Behörden schicken, wo die Inhalte händisch wieder in den Computer gespeist würden - aus Sicht des Rechnungshofs völliger Unsinn.

Badisches Staatstheater - Das Staatstheater in Karlsruhe hat 300 Jahre Geschichte auf dem Buckel und ist das drittgrößte Theater im Südwesten - kann aber nur einen kleinen Teil seiner Ausgaben (rund 50 Millionen Euro im Jahr) mit den Einnahmen selbst finanzieren. Den Rest teilen sich Land und Stadt Karlsruhe. Die Finanzkontrolleure sehen da viel Luft nach oben. Sie halten ein Einspielergebnis von 15 Prozent für erreichbar. Regelungen zu Dienst-, Frei- und Ehrenkarten müssten restriktiver gehandhabt werden. Der Rechnungshof rät zudem zu regelmäßigen Preisanpassungen und dem Aufbau eines effektiven Controllings. Die Frage sei, ob das Theater noch den Mainstream treffe, sagte Ruppert. Es brauche eine Gesamtstrategie, um neues, junges Publikum ins Theater zu kriegen.

Förderchaos - Egal ob es um Schulsozialarbeiter oder Handwerker geht - der Rechnungshof kritisierte das Land für unwirtschaftliche Förderpraktiken und bürokratische Doppelstrukturen. So existierten etwa bei der Förderung für kleine und mittlere Betriebe Parallelstrukturen von Land, Bund und EU. Das Land halte zudem mit der Förderung regionaler TV-Sender konkurrierende Medien künstlich am Leben. Und Förderprogramme für die Jugendsozialarbeit liefen völlig ohne konkrete Zielsetzung. Es gebe keinerlei Ergebnisüberprüfung. »Der reine Mittelabfluss ist kein sachgerechtes Ziel«, kritisierte Lothar Nickerl vom Rechnungshof.

Landärzte - Ärzte, die sich in unterversorgten Regionen ansiedeln, werden seit einigen Jahren doppelt gefördert: Nicht nur vom Land, sondern auch von der Kassenärztlichen Vereinigung, die originär zuständig ist für die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten ärztlichen Versorgung. Seit 2015 liefen die beiden Förderungen unkoordiniert nebenher, sagte Nickerl. Die Abwicklung müsse auf die Kassenärztliche Vereinigung übertragen werden. Das Sozialministerium sagte, man werde die Übertragung auf die Kassenärztliche Vereinigung prüfen - das könnte jedoch sowohl mit Kosten wie auch mit weiterem Betreuungsaufwand durch das Ministerium verbunden sein.

Bauprojekte - Das Land baue und saniere jährlich mit einer Milliarde Euro, so der Rechnungshof. Planungsmängel und Baufehler würden aber zu spät erkannt, Neubauten müssten bereits nach wenigen Jahren saniert werden. Die Anzahl der Baumaßnahmen mit gestörtem Bauablauf sei merklich angestiegen, kritisieren die Prüfer. Ein Beispiel ist die Universitätsbibliothek in Freiburg, die erst 2015 übergeben wurde, bei der aber bereits erhebliche Fassadenschäden zu Tage treten. Die Wärmedämmung sei völlig durchfeuchtet, die Universität stelle Eimer entlang der Innenfassade als Auffangbehälter für Regenwasser auf. Der Schaden belaufe sich auf mehr als fünf Millionen Euro. Durch bessere Planung und Überwachung hätte man die Schäden vielleicht rechtzeitig erkennen und eindämmen können.

Auch kritisiert wurde die Kostensteigerung beim Neubau der Dualen Hochschule in Stuttgart. Der Neubau wurde mit zwei Jahren Verzögerung übergeben - und kostete am Ende 113 statt 89 Millionen Euro. Wegen unzureichender Rettungswege aus den Obergeschossen kann das Gebäude von höchsten 2000 Personen gleichzeitig genutzt werden - obwohl mehr als doppelt so viele Plätze zur Verfügung stehen.

Regionalflughäfen - Das Land hält weiter eine Minderheitsbeteiligung an den Flughäfen in Friedrichshafen und Mannheim. Dabei sei bei keinem Airport ein wichtiges Landesinteresse erkennbar, kritisierten die Finanzkontrolleure. Die Beteiligung von 5,74 Prozent sei nicht ausschlaggebend für deren Zukunftsfähigkeit. Die Flughäfen seien regelmäßig defizitär, sagte Hilaria Dette vom Rechnungshof. Das Land müsse sich trennen, um nicht weiter finanziellen Erwartungen ausgesetzt zu sein.

Gebühren - Ob Gebühren für Sprengstoffüberwachung oder Tierzucht - die Ministerien passten die landesrechtlich geregelten Gebühren nicht regelmäßig an, lautete ein weiterer Kritikpunkt. Dadurch entgingen dem Land Einnahmen in Millionenhöhe. Viele Gebühren seien elf Jahre unverändert geblieben, obwohl die Pauschalkosten des Landes in diesem Zeitraum um 29 Prozent gestiegen seien. Die Gebühren müssten fünf bis zehn Millionen Euro im Jahr höher sein als vor zehn Jahren, hieß es.

© dpa-infocom, dpa:230716-99-423807/4