Irgendwann verliert auch der ruhige Richter die Geduld mit der jungen Frau auf der Anklagebank. »Der hing unter Ihrem Auto und wurde mitgeschleift. Und das haben Sie nicht gemerkt?«, fragt er sie fassungslos. Tränen. Denn so wirklich vermag sich die Frau nicht mehr an die entscheidenden und tödlichen Momente zu erinnern, für die sie sich seit Montag vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten muss. »Ich weiß auch nicht, warum er nicht runter ist«, stammelt sie verzweifelt. »Ich hätte einfach stehen bleiben sollen.«
Die 34-Jährige aus dem Kreis Esslingen muss sich nach einem tödlichen Angriff mit dem Auto auf ihren Ex-Lebensgefährten seit Montag wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Sie soll den Mann Ende Mai nach einem Streit zunächst angefahren, über fast zwei Kilometer hinweg auf der Motorhaube ihres Autos mitgetragen und mehrere Dutzend Meter unter dem Wagen mitgeschleift haben, bis er auf einer Landstraße zu Boden stürzte. Der zwei Jahre jüngere Mann erlag später seinen schweren Kopfverletzungen.
Mit dem Mann führte die Angeklagte nach eigener Aussage eine konfliktreiche Beziehung. Beide konsumierten Drogen, sie sahen sich häufig und dennoch fühlte sich die Frau durch ihn bedroht. Aber er sei nie gewalttätig geworden, betonte die Deutsche in ihrer auch von Widersprüchen geprägten Aussage.
Vor allem ihre Beschreibungen vom Abend der Tat ließen die Kammer bisweilen mit fragenden Gesichtern zurück. Sie habe in der eigenen Wohnung in Reichenbach an der Fils (Kreis Esslingen) Angst gehabt, erinnerte sie sich, weil das spätere Opfer plötzlich auf ihrem Balkon vor dem Fenster aufgetaucht sei. Den Grund für den entscheidenden Streit vermochte sie nicht genauer zu beschreiben, sie habe lediglich einen Schlag vernommen, sei Hals über Kopf aus der Wohnung geflohen, ins Auto in der Tiefgarage gestiegen und habe Gas gegeben. »Ich bin einfach rausgefahren. Da war er auf der Scheibe drauf. Und ich bin gefahren.«
Die Deutsche hatte nach der Tat zunächst die Fahrt fortgesetzt, sie war aber noch am selben Abend in Begleitung zum Tatort zurückgekehrt, wo sie festgenommen wurde. Vor Gericht zeigte die zweifache Mutter am Montag unter Tränen Unverständnis für ihr eigenes Verhalten in jener Nacht. »Ich würde alles tun, dass er noch lebt. Ich wollte ihm nie etwas tun.«
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, den Tod ihres ehemaligen Lebensgefährten »billigend in Kauf genommen« zu haben. Seit jenem Abend Ende Mai sitzt die Frau in Untersuchungshaft. Geplant sind mehrere Prozesstage, mit einem Urteil wird erst Anfang Dezember gerechnet.
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