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Aktuell Übung

Polizei simuliert Terroranschläge am Bahnhof Stuttgart

Bomben gehen am Stuttgarter Hauptbahnhof in die Luft, Terroristen schießen mit Sturmgewehren auf junge Passanten. Die Polizei probt einen Albtraum. Denn die Anschlagsgefahr bleibe hierzulande hoch.

Foto: dpa
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STUTTGART. Dienstag, 21.46 Uhr, Stuttgarter Hauptbahnhof. Direkt vor dem Regionalzug aus Tübingen auf Gleis 4 gehen zwei Sprengsätze hoch. Schüsse peitschen durch die Luft. Junge Menschen rennen schreiend aus dem Zug auf den Bahnsteig. Drei vermummte Männer tauchen auf, feuern mit Sturmgewehren auf die Reisenden, richten sie regelrecht hin. Einer zielt auf ein am Boden kriechendes, flehendes Mädchen. Er schießt ihr in den Kopf. Sie sackt zusammen. Es ist nur eine Übung, aber selbst wenn man sich dessen bewusst ist: Der Ort ist vertraut, die Schreie sind echt - und die Szenen schlicht grauenvoll.

Nach ein paar Sekunden stürmen sechs Polizisten den Bahnsteig am Gleis 4. Sie zeigen ebenfalls keine Gnade, feuern auf die Attentäter. Zwei gehen sofort zu Boden. Einer verschanzt sich im Zug und wird kurze Zeit später überwältigt. Nach wenigen Minuten beruhigt sich die Lage. Täter wie Opfer liegen regungslos am Bahngleis.

Foto: dpa
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Am Stuttgarter Bahnhof herrscht Krieg in der Nacht zum Mittwoch. Zumindest eine Simulation davon. Sieben Stunden lang üben Hunderte Beamte von Bundes- und Landespolizei gemeinsam mit Feuerwehr, Bahn und Technischem Hilfswerk den Albtraum: Ein Terroranschlag mitten im Herzen Stuttgarts - mit Kunstblut, Farbmunition und Platzpatronen. Und das ausgerechnet am 11. September, dem Tag der Terroranschläge auf das World Trade Center 2001 in New York. Man habe keinen anderen Termin gefunden, erklärt ein Polizeisprecher. Bewusst gegen das Datum habe man sich aber auch nicht entscheiden wollen.

Anti-Terror-Übung. Foto: Archiv
Anti-Terror-Übung. Foto: Archiv

Es habe bereits in anderen Bundesländern solche Übungen gegeben, aber noch nicht in der Größe, sagt Peter Holzem, Präsident der Bundespolizeidirektion Stuttgart. Nach den Anschlägen von Paris oder Berlin stehe die Polizei vor einer ganz neuen Herausforderung. Der Terror erfordere neue, aggressive Einsatzstrategien, für die vor allem die normalen Streifenbeamten geschult werden müssten. Denn bis die Spezialkräfte vor Ort sind, vergehen Minuten - Minuten, die Menschenleben kosten können.

Die Beamten, die zuerst am Tatort sind, müssten in solchen Lagen blitzschnell den Schalter im Kopf umlegen vom »Modus des Freund und Helfers«, weil sie es plötzlich mit kampferprobten, besonders gewalttätigen Kriminellen zu tun hätten, erklärt Holzem. Die Bedrohung sei anhaltend hoch, es gebe Tausende Islamisten im Land.

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Unter den 1000 Beteiligten der Großübung sind allein 400 Statisten. Sie stellen die »Panikmasse« da, sie bluten, schreien, rennen um ihr Leben - sie spielen unschuldige Zivilisten, zur falschen Zeit am falschen Ort. Kurz vor der Übung werden viele in einem Bahnwaggon geschminkt. Spezialisten für »Realistische Wunddarstellung« der Bundeswehr helfen dabei. Abgetrennte Gliedmaßen, Verbrennungen, Schussverletzungen - das Repertoire an Wunden ist groß. »Es erinnert ein wenig an Halloween«, sagt eine junge Beamtin der Bundespolizei, die einem Kollegen gerade eine Risswunde an die Backe schminkt.

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Der Presse wird nur eine kurze Szene vorgeführt. Ihre Einsatztaktik will die Polizei nicht verraten. »Wir wollen nicht berechenbar sein, wenn es zum Worst Case kommt«, sagt Bundespolizei-Sprecher Jonas Große. Die ganze Nacht über werden verschiedene Szenarien geübt, die die mitwirkenden Beamten selbst vorher nicht kennen. Nur eine Erstmeldung geht im Lagezentrum ein: Schüsse im Zug, maskierte Personen, Verletzte. Dann müssen sie sich dem Terror stellen.

Schiedsrichter bewerten das Vorgehen und die Teamarbeit der Beamten. Dann werden die Ergebnisse ausgewertet. »Das Gute siegt«, verrät Olef Petersen, der Sprecher der Landespolizei, im Vorfeld.

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Sechs Gleise des Hauptbahnhofs, Teile der Haupthalle und die Taxi-Spur werden für den Verkehr gesperrt. Man hoffe, dass solche Übungen nie Realität werden, sagte ein Vertreter der Bahn. »Eine Sicherheit dafür gibt es nicht. Die Bahn ist ein offenes System.« Es sei deshalb gut, dass man den Ernstfall übe. 409 Meter Absperrzaun sollen verhindern, dass Schaulustige zuschauen können. Aber allein die Schüsse und Schreie schockieren Passanten, die in der Nacht am Hauptbahnhof stranden. »Das möchte ich nie erleben«, sagt einer.

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