ROTTENBURG/BADEN-BADEN. Vor 25 Jahren sorgte der Orkan Lothar für schwere Verwüstungen. Von Frankreich her kommend fegte er über die Schweiz und Süddeutschland. Innerhalb von zwei Stunden zerstörte der Orkan Lothar vor 25 Jahren über 250 Hektar Wald allein im Rammert. Knapp zehn Prozent der 3.000 Hektar waren dahin – ein Schock, den der damals zuständige Förster Lorenz Truffner nie vergessen wird. Ein Gedenkstein erinnert heute daran. Wer genau schaut, entdeckt im Wald noch Wurzelteller alter Bäume.
Wie bei einem Mosaik haben sich einige Flächen inzwischen selbst verjüngt und sind wieder bewachsen, auf anderen wurden gezielt Douglasien und Eichen gesetzt, wieder andere wurden zum Bannwald. »Am Anfang war das Entsetzen groß«, erinnert sich Truffner. »Einige Kollegen haben das nie verkraftet und sich sogar das Leben genommen.« Denn innerhalb kürzester Zeit sei ihr Lebenswerk zerstört worden. In Rottenburg dauerte es allein vier Jahre, das gesamte Schadholz aus dem Wald zu schaffen. »Die Wege waren zu und alle Gerätschaften und Leute im Einsatz«, sagt Truffner. Der logistische Aufwand sei immens gewesen.
Eine positivere Sicht hat Oberförster Thomas Hauck aus Baden-Baden, der 25 Jahre später sogar im SWR-Fernsehen eine positive Bilanz zieht. Unmittelbar nach »Lothar« hätten sich die Verantwortlichen überlegt, wie der Wald in Zukunft »sturmstabiler« gemacht werden kann. Deshalb habe man auf den »Lothar-Flächen« viel Laubholz angepflanzt. Bis zu 21 verschiedene Baumarten würden jetzt an den Stellen wachsen, auf denen vor dem Orkan Nadelhölzer gestanden hätten – vor allem die Fichte. Damals sei versucht worden, der Natur zu helfen. Außerdem wurden verstärkt Eichen und Kirschen gepflanzt, um den Wald für den Klimawandel zu rüsten. Truffner räumt zwar ein, dass auch »Gutes« entstand.
Von einem »Umbau« wie einige seiner jüngeren Kollegen möchte der inzwischen pensionierte 69-Jährige allerdings nicht sprechen. »Ein Umbau erfolgt gezielt, das war aus der Not heraus«, sagt Truffner. Sogenannte Reinbestände, also Monokulturen, habe es in Rottenburg auch zuvor kaum gegeben. »Wir hatten schon immer einen Mischwald mit drei bis fünf Hauptbaumarten, die sich ergänzen«, sagt Truffner.
Es gab einige Flächen, auf denen die Fichte dominierte. Doch selbst 150 Jahre alte Eichenbestände beispielsweise auf der Mechthildshöhe waren betroffen. »Dicke Stämme, zweihundert Jahre gewachsen, waren kaputt«, so Truffner. Bäume, die »unendlich« lange hätten stehen können. Weil die Tanne bessere Wurzeln als die Fichte hat, wurden einige nur abgedreht und sie fielen nicht. Und jede Veränderung brauche Zeit. »Im Wald dauert alles lange, da geht nichts schnell.«
Eichenwald bremst den Sturm
Bei einem Rundgang zeigt Truffner Waldstücke, die Lothar unbeschadet überstanden haben, weil ein daneben stehender Eichenwald den von Westen kommenden Sturm bremste. Noch heute stehen dort 60 bis 80 Jahre alte Fichten. Diese Baumart sei nach den Weltkriegen die erste Wahl bei der Aufforstung gewesen, weil sie schnell wächst. Zudem sei fast jeder Dachstuhl aus Fichte gewesen. Auch Weihnachtsbäume waren – vor der Nordmanntanne – überwiegend Fichten. Auf den nach dem Sturm kahlen Flächen siedelten sich als erstes Birken an. Truffner bezeichnet sie als »Pionierbäume«. Ihre leichten Samen verbreiten sich schnell. Durch ihr »stürmisches Jugendwachstum« werden sie schneller groß als andere Baumarten. Sie bedecken den Boden und schützen ihn vor Austrocknung und Erosion.
250 HEKTAR KAHLSCHLAG
Der Sturm Lothar wütete am 26. Dezember 1999 über Süddeutschland. Im Rottenburger Stadtwald fielen innerhalb von zwei Stunden 220.000 Festmeter Holz. Auf gut 250 Hektar fegte der Sturm eine Fläche kahl. Jeder Weg sei damals mit Bäumen versperrt gewesen, erinnert sich Lorenz Truffner. »Da war kein Durchkommen.« Um sich einen ersten Eindruck von den Schäden zu machen, arbeitete er sich damals quer durch das zerstörte Areal, jeden Tag bis in die Nacht hinein mit der Stirnlampe, über die umgeworfenen Bäume hinweg. Das Ereignis sei so eindringlich gewesen, dass es sich ins Försterhirn eingebrannt habe. Ihm sind vor allem die immensen Schäden präsent, während einige seiner jüngeren Kollegen heute die Chancen betonen. (stb)
Birken, die selten älter als einhundert Jahre werden, werden mit der Zeit von den Hauptbaumarten überwachsen. Im Rammert sind das Buche und Weißtanne. Sie kommen mit weniger Licht aus als Eichen. »Wenn wir gar nichts machen, würde die Buche die Eiche ins Hintertreffen bringen«, erklärt Truffner. Deshalb werden die Eichen beispielsweise mit Zäunen geschützt. »Der Pflegeaufwand ist hoch«, sagt Truffner. »Man muss sie aufpäppeln wie ein Kind.« Ohne Zutun der Förster entstand nach Lothar im Rottenburger Forst mit einem Roteichenwald etwas in der Gegend Einzigartiges.
Auf zwei bis drei Hektar wachsen die in Amerika beheimateten Bäume durch Naturverjüngung. Ihr Holz ist eine gute Ergänzung zur Stieleiche. Bereits seit den 1960er-Jahren seien die Förster bestrebt gewesen, die Reinbestände in Mischwälder umzubauen. »Das war noch keine Pflicht, aber Förster denken voraus.« Doch keine Frage: Lothar hat das in zwei Stunden beschleunigt. (GEA)