Tief im Keller des Olympiastadions posierte Pal Dardai fröhlich für ein Fan-Foto. Doch die junge Dame neben ihm wollte gar keinen Schnappschuss mit dem Hertha-Trainer. Dardai nahm das Missverständnis mit Humor und stellte sich stattdessen mit deren sehr erfreutem Begleiter samt Hertha-Schal für eine Handy-Aufnahme bereit. Der eigene Stellungsfehler kurz nach dem Schlusspfiff war Dardai offensichtlich lieber als ein möglicher Fauxpas seiner Mannschaft.
Diese hatte beim 2:1 (2:1) am Samstag gegen den VfB Stuttgart das erhoffte erste Signal im Abstiegskampf gesetzt. »So kann man in der Liga bleiben, das ist ein verdientes Ergebnis gewesen«, meinte Dardai und fügte an: »Wir sind Herr gewesen gegen den Ball und sogar mit dem Ball.« Das war in der Kombination schon lange nicht mehr der Fall gewesen bei den Berlinern.
Ein Extralob bekam Florian Niederlechner. Mit seinem Premierentor (45.+2) hatte der Angreifer vor 63 443 Zuschauern im Olympiastadion einen großen Anteil am ersten Hertha-Sieg in der Fußball-Bundesliga nach acht vergeblichen Versuchen. Marc Oliver Kempf (29. Minute) hatte die Berliner zunächst in Führung gebracht, Serhou Guirassy (38.) den Stuttgarter Ausgleich erzielt.
»Vier Spiele, vier Siege«: Mit dieser klaren Zielsetzung hatte Dardai sein Team in den Saison-Schlussspurt geschickt. Jetzt müssen die Herthaner am Freitag gegen den 1. FC Köln und dann noch gegen den VfL Bochum und VfL Wolfsburg nachlegen. Denn noch steht die Hertha auf dem letzten Tabellenplatz.
Immerhin bleiben Stuttgart und auch der VfL Bochum mit nur drei Punkten Vorsprung weiter in Reichweite. Der FC Schalke 04 ist fünf Zähler voraus und somit auch noch zu überholen. »Es war heute ein wichtiger erster Schritt, und ich hoffe, dass nächste Woche der zweite wichtige Schritt folgen wird«, sagte Niederlechner.
Eben jenen wichtigen Schritt im Abstiegskampf hatten die Stuttgarter recht fahrlässig verpasst. Müdigkeit und fehlende mentale Frische nach dem 2:3 im DFB-Pokalhalbfinale gegen Eintracht Frankfurt waren ein Aspekt. Außenverteidiger Borna Sosa konstatierte eine chronische Unfähigkeit, gegen tief stehende Gegner zu agieren. Trainer Sebastian Hoeneß wollte aber gar keinen Alarmismus produzieren. »Wir haben noch zwei Heimspiele und alle Chancen, die Klasse zu halten«, sagte der VfB-Coach.
Die Chance auf den Klassenverbleib wittert auch Dardai, nachdem der erste Schritt seines tollkühn anmutenden »Vier-Spiele-vier-Siege«-Plans erfüllt war. Und das mit klassischem Dardai-Fußball. Kontrolle geht dabei immer über Risiko. Die Offensivaktionen waren dosiert. Gejubelt wurde erst, als der Ex-Stuttgarter Kempf eine Flanke von Marco Richter per Kopfball ins Tor wuchtete. Erstmals seit Mitte März gegen Mainz lag die Hertha wieder in Führung.
Die Stuttgarter, die mit Angriffsakzenten ebenfalls nicht wucherten, konnten sich aber auf klassische Berliner Unzulänglichkeiten verlassen. Richter, Marvin Plattenhardt und auch Kempf waren sich bei einer VfB-Flanke unschlüssig. Guirassy schob dankend ein.
Dass Dardais Gattin Monika zur Halbzeit doch noch fröhlich auf der Tribüne klatschen konnte, hing mit einer Premiere zusammen. In der Nachspielzeit spitzelte Niederlechner eine Freistoßflanke durch die Beine von VfB-Torwart Fabian Bredlow über die Linie. Es war der erste Hertha-Treffer des Angreifers seit seinem Wechsel von Augsburg zu Jahresbeginn.
Kontrolle war auch in der zweiten Halbzeit das Hertha-Motto. Ein früher Konter von Dodi Lukebakio (51.) hätte für Beruhigung sorgen können. Inkonsequenz beim Umschaltspiel nervte Dardai hinterher am allermeisten. »Wir haben zehn Balleroberungen mit Überzahl und wir schaffen nicht einen Abschluss. Wenn wir nicht kontern können, wird es schwierig«, mahnte der Hertha-Trainer.
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