Es ist noch keine zwei Wochen her, dass die Bahn einen weiteren »Meilenstein« beim Bau von Stuttgart 21 vermeldete. Auf der Großbaustelle in der Stuttgarter Innenstadt war das letzte Stück des Dachs betoniert worden und die neue Bahnhofshalle damit erstmals komplett geschlossen. Von »großem Stolz« sprach der zuständige Projektleiter. Am Donnerstag kam dann die nächste Negativ-Botschaft zum umstrittenen Bahnprojekt, die sich seit Wochen angedeutet hatte: Stuttgart 21 wird erneut teurer.
Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Aufsichtsrats-Kreisen erfuhr, steigen die Kosten um 1,7 Milliarden Euro auf rund 11 Milliarden Euro an. Grund für die Kostensteigerung seien vor allem gestiegene Baukosten, hieß es. Zuvor hatten mehrere Medien berichtet. Ein Bahnsprecher wollte sich zu den Zahlen nicht äußern und verwies auf eine Sitzung des Aufsichtsrates. Der soll am 18. Dezember über Stuttgart 21 beraten.
Zuletzt hatten sich die Hinweise verdichtet, dass die Bahn mit den bisher veranschlagten Kosten von 9,15 Milliarden Euro, zuzüglich eines Puffers in Höhe von 640 Millionen Euro, nicht auskommen würde. Bei einer Sitzung des Lenkungskreises hatten die Projektpartner jüngst in Stuttgart betont, mit weiteren Kostensteigerungen zu rechnen. »Die Indizien, dass wir den Kostenrahmen nicht halten werden können, haben sich soweit verdichtet, dass wir jetzt intern dringend darüber diskutieren müssen«, sagte der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, Berthold Huber, am vergangenen Freitag. Es seien erhebliche Kostensteigerungen in allen Gewerken zu verzeichnen.
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann sagte, bei einzelnen Ausschreibungen habe es Kostensteigerungen von 100 bis 200 Prozent gegeben. »Wir reißen die bisherigen Pläne auf jeden Fall«, sagte der Grünen-Politiker.
In der Vergangenheit hatte es immer wieder Kostensteigerungen gegeben. In einem Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ist geregelt, wie die damals angenommenen Kosten in Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro auf die Projektpartner Bahn, Land, Stadt Stuttgart, Region Stuttgart und Flughafen Stuttgart verteilt werden. Seither haben sich die Kosten Stück für Stück erhöht und inzwischen mehr als verdoppelt. Vor Gericht streiten sich die Projektpartner derzeit, wer diese Milliarden bezahlen muss. Ein Ende des Prozesses ist noch in weiter Ferne.
Das Projekt Stuttgart 21 steht für die komplette Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart, nicht nur für den Umbau des Hauptbahnhofs der Landeshauptstadt. Gebaut werden neue Bahnhöfe, Dutzende Kilometer Schienenwege und Tunnelröhren, Durchlässe sowie Brücken. Stuttgart 21 soll dazu beitragen, die Reisezeiten im Fern- und im Regionalverkehr erheblich zu verkürzen. Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm schließt neben Stuttgart 21 auch den Neubau der bereits eröffneten Strecke Wendlingen-Ulm ein.
Unklar sind nicht nur die endgültigen Kosten für das Projekt - auch die Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs ist mit immer mehr Unsicherheit behaftet. Der Südwestrundfunk berichtete erst kürzlich, Insider würden nicht mehr an einen pünktlichen Start glauben. Die Bahn betont bei jeder Gelegenheit, am Start im Dezember 2025 festzuhalten, gibt aber selbst zu, dass das nicht ganz einfach werden dürfte.
Es gebe »ein paar Herausforderungen«, räumte erst vergangene Woche Infrastrukturvorstand Huber ein. Am meisten Sorgen bereitet die Digitalisierung des Bahnknotens. »Das ist der Punkt, der uns am meisten beschäftigen sollte«, sagte Huber. Probleme macht der Lieferant der Technik, der gerade von einem anderen Unternehmen übernommen wird. Bestimmte Meilensteine seien nicht erreicht worden, sagte Huber. Die Bahn habe deswegen 60 eigene Mitarbeiter zusätzlich in das Projekt integriert, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
Die Probleme bei der Digitalisierung sind deswegen so kritisch, weil ohne das digitale Zugsicherungssystem ETCS kein einziger Zug in den neuen Tiefbahnhof einfahren kann. Züge des Fern- und Regionalverkehrs sowie S-Bahnen können dort nur noch mit ETCS fahren. Klassische Signale sind im Bahnhof und in den Tunneln nicht mehr vorgesehen. Die Bahn erhofft sich durch das digitale System mehr Sicherheit und auch mehr Kapazitäten.
Aus Sicht von Hermann wird es eng mit der Inbetriebnahme. Es sei »eine Herausforderung, den Zeitplan bis Dezember 2025 einzuhalten«, sagte Hermann. »Stand heute sieht es so aus, dass es zwar eng wird, aber noch möglich ist.« Aus Sicht des Ministers braucht es eine ausreichend lange Zeit für einen Probebetrieb. Die Infrastruktur sei neu, die Digitalisierung sei neu, die Züge seien teils neu und auch die Fahrpläne seien neu, sagte Hermann. »Einen Holperstart können und werden wir uns nicht leisten.« Probleme macht aber nicht nur der Bahnhof, auch das Land hatte kürzlich mitgeteilt, dass bestellte neue Regionalzüge nicht rechtzeitig zur Inbetriebnahme geliefert werden.
Klarheit über die Inbetriebnahme dürfte es spätestens im kommenden Jahr geben. Die Entscheidung darüber, ob der Bahnhof wie geplant in Betrieb genommen wird, muss bis spätestens Juni kommenden Jahres gefällt werden. Dann wird der Fahrplan festgelegt.
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