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Neuer Hilferuf zur Asylpolitik: »Die Lage ist ernst«

In den Kommunen ist angesichts steigender Flüchtlingszahlen Druck im Kessel. Die Hilferufe aus den Städten und Gemeinden sind seit Monaten unüberhörbar, aber aus ihrer Sicht ändert sich bislang nichts. Ein neuer Appell könnte aktueller kaum sein.

Asyl
Eine rote Ampel leuchtet vor dem Wort »Asyl«. Foto: Patrick Pleul/DPA
Eine rote Ampel leuchtet vor dem Wort »Asyl«.
Foto: Patrick Pleul/DPA

Angesichts des stockenden politischen Prozesses und der stark steigenden Flüchtlingszahlen werfen die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg dem Bund vor, das Vertrauen der Menschen aufs Spiel zu setzen und extreme Parteien zu stärken. Zunehmend breche die Akzeptanz für die Aufnahme geflüchteter Menschen weg, warnte der Präsident des Gemeindetags, Steffen Jäger, am Donnerstag. Der rechte politische Rand werde stärker, das sei besorgniserregend. »In dieser Situation steigt nun die Zahl der Asylzugänge auf ein historisches Hoch«, sagte Jäger am Tag des EU-Innenministertreffens in Brüssel.

Dort wurde am Donnerstag über die umstrittenen Reformpläne für das europäische Asylsystem beraten. Das stark unter Druck stehende Deutschland sagte zu, trotz anhaltender Bedenken der umstrittenen Krisenverordnung für die geplante EU-Asylreform zuzustimmen. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) durch ein Machtwort in der Ampelkoalition mit FDP und Grünen den Weg freigemacht für einen Durchbruch in den festgefahrenen Verhandlungen.

Für Jäger kommt der mögliche EU-Kompromiss aber zu spät. Der Bund gehe davon aus, dass die EU-Institutionen frühestens Ende des Jahres zustimmten. »Bei realistischer Betrachtung wird es noch viele Monate dauern, bis diese Maßnahmen ihre Wirkung entfalten«, sagte Jäger der Deutschen Presse-Agentur. Es brauche aber Sofortmaßnahmen. »Das Gemeinwesen ist an den Grenzen des Machbaren angelangt und die gesellschaftliche Akzeptanz sinkt in einer besorgniserregenden Geschwindigkeit«, fügte Jäger hinzu.

Bisher seien alle Hilferufe der Kommunen ungehört beim Bund verhallt. »Außer kleinteiligen Initiativen und vielen Ankündigungen gibt es bislang keine wirksamen Maßnahmen«, sagte er. Die Migrationspolitik müsse aber der Realität in den Kommunen gerecht werden. »Es braucht nun endlich eine gesunde Portion Realitätssinn im Hinblick darauf, was vor Ort in den Kommunen tatsächlich noch leistbar ist«, sagte der Verbandschef. »Die Lage ist ernst!«

Auch die Landkreise wollen den Zuzug so nicht mehr hinnehmen. »Die Zugangsdynamik nimmt weiter zu«, sagte Walter. »Wir brauchen daher dringend einen Richtungswechsel in der Migrationspolitik.« Das Vertrauen der Menschen in den Staat sei beschädigt. »Dieses Vertrauen aber ist die kostbarste Ressource unserer Demokratie.«

Die Warnungen vor einer Überlastung kommen seit Wochen aus Ländern und Kommunen immer lauter und schärfer. Von Jahresbeginn und bis Ende August haben etwas mehr als 21 000 Menschen in Baden-Württemberg einen Asylerst- oder einen Folgeantrag gestellt, im gesamten vergangenen Jahr waren es laut Justizministerium rund 27 800. Hinzu kommen etwa 174 000 Menschen auf der Flucht aus der Ukraine seit Beginn des Krieges. Die Zahl von bislang fast 28 900 Menschen aus dem umkämpften Land liegt aber deutlich unter der Zahl des gesamten vergangenen Jahres (fast 145 200). Menschen aus der Ukraine müssen keinen Asylantrag stellen.

In fast deckungsgleichen Positionspapieren fordern der Landkreis- und der Gemeindetag, die irreguläre Migration unter anderem durch Grenzkontrollen zu begrenzen. Entscheidungen über Asylverfahren müssten bereits in der Erstaufnahme getroffen werden. »Eine Weiterverteilung auf die Kommunen darf nur erfolgen, wenn ein Bleiberecht wirksam festgestellt wurde«, forderte der Gemeindetag. Außerdem müsse die Liste der asylrechtlich sicheren Herkunftsländer nicht nur um Moldau und Georgien, sondern auch um Marokko, Tunesien und Algerien sowie die Türkei erweitert werden, um Abschiebungen zu erleichtern.

Eine solche Ausweitung schürt aus Sicht des baden-württembergischen Flüchtlingsrats aber nur das Misstrauen gegenüber geflüchteten Menschen. »Es wird suggeriert, dass Menschen nach Deutschland fliehen würden, die eigentlich kein Recht auf Asyl hätten«, sagte die Co-Geschäftsführerin des Vereins, Anja Bartel. Die Kommunalverbände fachten so die aktuelle destruktive Debatte zur Begrenzung von Fluchtmigration weiter an. Sie ignorierten die zahlreichen Gründe, die Menschen zum Beispiel aus einem Land wie der Türkei zur Flucht zwängen.

Die Forderungen der drei großen kommunalen Dachverbände, die im März bereits in einer gemeinsamen »Stuttgarter Erklärung« ähnlich formuliert wurden, decken sich mit der öffentlichen Stimmung. Das ergab eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des SWR und der »Stuttgarter Zeitung«, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Darin wurde das Thema Zuwanderung und Flucht als größtes Problem genannt - es steht mit 40 Prozent mit großem Abstand ganz vorne auf der Liste. Die AfD profitiert der Umfrage zufolge mit ihrer Forderung nach Grenzen für die Zuwanderung von der Unzufriedenheit mit der Migrationspolitik.

Stuttgarter Erklärung

Forderungen des Landkreistags

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