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Aktuell Kriminalität

Neue Betrugsmasche: Tourist in Not

Reisende Täter aus Irland nehmen arglose Passanten ins Visier. Wenn sie erwischt werden, passiert ihnen wenig

Belebte Fußgängerzonen wie die Königstraße können ein Tatort für reisende Betrügergruppen sein.  FOTO: RETTIG/LICHTGUT
Belebte Fußgängerzonen wie die Königstraße können ein Tatort für reisende Betrügergruppen sein. FOTO: RETTIG/LICHTGUT
Belebte Fußgängerzonen wie die Königstraße können ein Tatort für reisende Betrügergruppen sein. FOTO: RETTIG/LICHTGUT

STUTTGART. Sie stammen aus Irland, ohne festen Wohnsitz, reisende Landfahrer, in ihrer Heimat abfällig als Tinker, als Kesselflicker, tituliert. Als Touristen in Stuttgart unterwegs, halten die 27 und 40 Jahre alten Männer Ausschau nach Opfern für eine spezielle Betrugsmasche. Als angeblich gestrandete Reisende bitten sie zumeist jüngere Passanten um Hilfe, wollen für die Rückreise Geld leihen und die Summe per Handy-App und Sofort-Überweisung an Ort und Stelle zurückzahlen. Das ist eine Falle. Doch dann tappen die Täter in der Königstraße selbst in eine.

Die Betrugsmasche der »gestrandeten Touristen«, die auf Englisch um Hilfe in einer außergewöhnlichen Notlage bitten, zieht seit unserer Berichterstattung am Jahresende weitere Kreise. Der besondere Trick besteht darin, dass das Opfer auf offener Straße angesprochen wird und einen hohen Bargeldbetrag am Bankomaten abheben soll – weil die Karte des Touristen angeblich nicht funktioniert oder gestohlen wurde. Der Täter will zum Dank für die Hilfe den Betrag plus Bonus sogleich per Handy und Banking-App auf das Konto des Opfers überweisen. Diese Transaktion ist allerdings fingiert.

»Die Täter suchen sich Opfer heraus, die Not-situationen auf Reisen gut nachvollziehen können«

Die Masche mit der Notlage und der Phantom-Überweisung funktioniert im-mer öfter – vor allem bei Opfern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Für die ist Handy-Banking nichts Ungewöhnliches. »Die Täter suchen sich deshalb Opfer heraus, von denen sie annehmen, dass sie solche Notsituationen auf Reisen gut nachvollziehen können«, sagt Polizeisprecherin Charlotte Weller. Allein in Stuttgart wurden bis Ende 2024 insgesamt 13 Fälle angezeigt. Aber auch in der Region ging es in diesem Jahr weiter: Ein hilfsbereiter 26-Jähriger wurde am Bahnhof Ludwigsburg hereingelegt, verlor mehrere hundert Euro. Einen 28-Jährigen traf es am Bahnhof in Böblingen, er verlor 500 Euro. Bahnhöfe – ein typischer Tatort. Aber auch Supermarkt-Parkplätze, Fußgängerzonen, Raststätten.

Das Phänomen ist längst auch in der für Betrugsfälle zuständigen Abteilung des Landeskriminalamts (LKA) angekommen. Mit deutlich steigender Tendenz in Baden-Württemberg. In den Tiefen der Lagebildstatistiken finden sich für das vergangene Jahr mehr als 100 Fälle. In den ersten dreieinhalb Monaten dieses Jahres sind es nach Informationen unserer Zeitung bereits mehr als 70 Taten. Für Oliver Hoffmann, Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität im LKA, gibt es da nur ein Gegenrezept: »Lassen Sie sich nie unter Druck setzen, wenn es um Geldübergaben, Überweisungen oder andere Vermögensverfügungen geht.«

Bei dem Fall in der Königstraße gerieten die 27 und 40 Jahre alten Iren aber an die Falschen. Denn die ausgesuchten Opfer waren sofort im Bilde, als die Touristen ihnen im Bereich einer Bankfiliale die Geschichte von einer Notlage erzählten und versprachen, das ausgeliehene Geld sofort in englischer Währung per Handy-App zu überweisen. Denn bei den vermeintlichen Opfern handelte es sich um Polizeibeamte in Zivil. Allerdings wurde das Duo nach der Anzeigenaufnahme wieder auf freien Fuß gesetzt. Ähnlich endete auch eine Festnahme drei Monate zuvor auf dem Marienplatz, wo zwei 33 und 35 Jahre alte Iren einen 22-jährigen Studenten hereinzulegen versuchten. Auch sie kamen frei.

»Lassen Sie sich nie unter Druck setzen, wenn es um Geldübergaben oder Überweisungen geht«

Doch besteht da nicht Fluchtgefahr – und das Risiko einer Wiederholungstat? Die Frage, wann von einer Fluchtgefahr auszugehen sei, hänge immer vom konkreten Einzelfall ab, sagt Staatsanwaltssprecher Patrick Fähnle. Generell könne man aber sagen, dass selbst bei Betrugstaten mit einer nur geringen Beute ein Haftgrund wegen Fluchtgefahr vorliegen könne. »Wenn beispielsweise die dringend Tatverdächtigen ohne festen Wohnsitz und bereits einschlägig vorbestraft sind«, so Fähnle.

Warum ließ man die Stuttgarter Verdächtigen aber wieder laufen? Generell spiele bei der Frage, ob ein Tatverdächtiger sich mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Flucht der Strafverfolgung entziehen werde, aber auch die Straferwartung eine Rolle. Einem Beschuldigten, der bisher nicht auffällig war und dessen Tat im Versuch endete, könne letztlich auch nur eine Geldstrafe drohen. In solchen Fällen lägen Voraussetzungen einer Untersuchungshaft in der Regel nicht vor – vor allem dann, wenn der beschuldigte Tourist freiwillig einen Zustellungsbevollmächtigten benennt und eine sogenannte Sicherheitsleistung hinterlegt. Das haben die Täter von der Königstraße denn auch getan. Diesmal natürlich ohne Banking-App. (GEA)