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Neckartalbrücke in Horb: Arbeiten verzögern sich

Die Neckartalbrücke dauert länger als bislang geplant. Ein Besuch auf der Pannen-Baustelle.

Die Baustelle der Hochbrücke  bei Horb.
Die Baustelle der Hochbrücke bei Horb. Foto: Jürgen Meyer
Die Baustelle der Hochbrücke bei Horb.
Foto: Jürgen Meyer

HORB. Es war ein merkwürdiges Geräusch, eine Art Knallen, das andeutete, dass auf dem im Bau befindlichen Brückenpfeiler in 70 Meter Höhe über dem Neckartal etwas nicht stimmte. Als ein aufmerksamer Arbeiter nach der Quelle des Knalls suchte, stellte er fest, dass von sechs Bolzen, die einen Querbalken hielten, bereits drei vor ihm auf dem Boden lagen. Nun war Eile geboten. Sofort befahl er, die Baustelle zu evakuieren. Auf dem Pfeiler arbeiteten zehn Männer, doch in den Rettungskorb passten nur zwei. Wie er wohl entschied, wer zuerst gerettet wurde? »Ich muss ihn nochmal fragen, ob er die Familienväter zuerst gerettet hat«, sagt Jörg Pfeifle, Projektleiter beim Regierungspräsidium, der mit Schrecken an diesen Rosenmontag zurückdenkt. »Den Tag werde ich nie vergessen«.

Als die Baustelle geräumt war, wurden Neckartalradweg und Bahnstrecke gesperrt. Dann begann das Bangen. Zweimal sackte der tonnenschwere Querträger ab. Doch er fiel nicht. Inzwischen ist das fehlerhafte Betonteil zurückgebaut, mithilfe schweren Flügelkrans wurde es in Teile zerlegt und entsorgt worden. Als Ursache des Beinahe-Unglücks wurde ein Bolzenbruch aufgrund eines Materialfehlers angegeben. Auf die Rückfragen ob »billiger China-Stahl« verwendet wurde, antwortete Michael Lumpp, Leitender Baudirektor beim Regierungspräsidium Karlsruhe, nicht. Die Verwendung des Materials obliege der ausführenden Firma.

Fertigstellung verzögert sich

Inzwischen ist ein neuer Querträger an dem Pfeiler angebracht worden. Mit einer anderen Methode, wie Lumpp versichert. Doch beim Pressetermin am Donnerstag gibt er bekannt, dass die ausführende Baufirma mitgeteilt hat, dass sie den Fertigstellungstermin Ende 2026 nicht halten kann. Das Regierungspräsidium würde nun die Unterlagen prüfen, sagt Lumpp. Hierfür müsse man Fachleute bemühen. Bevor die Prüfung nicht abgeschlossen ist, will er nichts dazu sagen, wie lange sich die Fertigstellung verzögert und ob die anvisierten Kosten von 112 Millionen Euro zu halten sind. Nur so viel gibt Lumpp zu Protokoll: Er sei von der Mitteilung überrascht gewesen trotz der Beinahe-Katastrophe am Rosenmontag. Es gebe »bei leistungsfähigen Firmen durchaus die Möglichkeit«, dass man trotz eines solchen Vorfalls »einer Verzögerung gegensteuert«, so Lumpp.

Größte Brückenbaustelle in Baden-Württemberg

Die Hochbrücke Horb ist mit einer Brückenlänge von 667 Metern und einer Fahrbahnhöhe von 70 Metern das derzeit größte Brückenbauprojekt in Baden-Württemberg. Die Pylonen haben sogar eine Höhe von 90 Metern. Damit ist die Brücke über das Obere Neckartal mehr als doppelt so lang, wie die Ersatzbrücken für die 290 Meter lange Körschtalbrücke der B27 bei Stuttgart-Möhringen und die 250 Meter lange Aichtalbrücke der B312, die das Verkehrsministerium Baden-Württemberg auf Anfrage als im Bau befindliche größere Brückenbauprojekte auflistet. Insgesamt werden derzeit elf Straßenbrücken ersetzt und neu gebaut. Das Ministerium weist allerdings darauf hin, dass jede zehnte Straßenbrücke im Land sanierungsbedürftig ist und neu gebaut werden muss. Die Kosten dafür schätzt das Ministerium auf 1,5 Milliarden Euro, wovon etwas mehr als zwei Drittel der Bund tragen muss.

Die Hochbrücke Horb ist allerdings keine Ersatzbrücke für die einige Kilometer weiter über das Neckartal führende Neckartalbrücke der A81, sondern ein Neubau. Sie soll den Verkehr, der bisher durch die Stadt Horb führt, über sie hinweg leiten.

Attraktion für Ausflügler

Die Baustelle hat sich zu einem Ausflugsziel und einer Attraktion entwickelt. Ein wenig fühlt es sich an, als wäre man beim Bau der Golden Gate Bridge dabei. Ein Hauch von San Francisco im Neckartal. Vom Aussichtspunkt beim Biergarten Rauschbart aus kann man etwa bei einem kühlen Bier beobachten, wie die insgesamt sieben Pfeiler – zwei in die Hänge gebaute Widerlager, zwei Stützen und drei Pylonen aus dem Neckartal in die Höhe wachsen. Auf der Seite des Rauschbarts muss eigens für den Bau der Brücke eine Serpentinenstraße gebaut werden. Mit dieser Straße wird dann schweres Gerät wie etwa ein 50 Tonnen schwerer Flügelkran an die Baustelle geschafft. Mit der bestehenden Straße ging das nicht, weil die Brücke unter dem Bahndamm zu niedrig ist. Die Serpentinenstraße soll nach der Fertigstellung der Brücke wieder zurückgebaut werden.

Neuer Brückentyp

An der Brückenbaustelle arbeiten derzeit etwa 60 polnische Arbeiter. Sie fertigen die Stahlbewehrung und betonieren die Pfeiler in Abschnitten. Die Projektplaner vom Regierungspräsidium sprechen zwar nicht polnisch, doch auch an ihr Vokabular müssen sich Laien erst einmal gewöhnen. Da wird nicht von Pfeilern gesprochen, sondern von Achsen und nicht von Querriegeln sondern von Schüssen. Die Achsen sind nummeriert, aber statt von »Achse 4« oder »Pfeiler 4« wird von »Achse 40« gesprochen. Wer nicht vom Fach ist, der muss da häufiger nachfragen, was gemeint ist.

Extradose hat nichts mit Überdosis zu tun

So ist der Brückentyp auch nicht – wie man beim Betrachten der Animation der fertigen Brücke meinen könnte – eine Hängebrücke. Vielmehr handelt es sich um eine Extradosed-Brücke. Der Name hat nichts mit einer Überdosis zu tun, sondern stammt aus dem Französischen, wo »extrados« einen »außerhalb liegenden Gewölberücken« bezeichnet. Bei dieser neuen Konstruktionsweise von Spannbetonbrücke wird das Tragverhalten von Schrägseilbrücken und Balkenbrücken kombiniert. Dabei werden die Spannglieder außerhalb des Querschnitts des Fahrbahnträgers über einen niedrigen Pylon geführt. Die Hüllrohre für die Spannglieder, die später angezogen werden, werden derzeit unter der zukünftigen Fahrbahn eingearbeitet. Eine vergleichbare Brücke diesen Typs ist Sunnibergbrücke, die 1998 zur Umfahrung von Klosters im Schweizer Kanton Graubünden fertiggestellt wurde. (GEA)