Das Karlsruher Naturkundemuseum will einen Großteil seines Pflanzenarchivs im Zuge eines EU-Projekts digitalisieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Das sei zum einen für ein Fachpublikum und die Forschung relevant, sagte der Referatsleiter Botanik, Prof. Rainer Bussmann. Aber auch Laien könnten die Datenbank nutzen und zum Beispiel historische Belege sichten oder schauen, welche Pflanzen schon vor Jahrzehnten in der Heimat vorkamen und welche neu hinzukamen.
Sogenannte Neophyten, also eingeschleppte Pflanzen, wie Amarante und Gänsefuß gebe es hierzulande schon lange. Früher seien sie aber selten gewesen, erklärte Bussmann. Heute gedeihen sie seinen Angaben zufolge noch dann etwa an Straßenrändern, wenn andere Pflanzen längst der Trockenheit im Sommer nicht mehr trotzen können.
Manche Belege sind mehr als 300 Jahre alt
Das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe verfügt laut Bussmann über eines der ältesten Herbarien in Deutschland, weil es - anders als zunächst gedacht - den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte. Herbarien werden Sammlungen konservierter Pflanzen oder Pilze genannt. Die rund 600.000 Exemplare in Karlsruhe reichen bis ins Jahr 1703 zurück.
»Nachdem die Sammlung jahrzehntelang im Dornröschenschlaf lag, wollen wir sie jetzt schnellstmöglich digitalisieren«, sagte Bussmann. Das Naturkundemuseum beteiligt sich den Angaben nach mit dem Nationalen Botanischen Garten von Irland und der Universität Gent an dem Projekt DigiHerb. Dieses von der EU kofinanzierte Projekt erhalte einen Zuschuss von fast einer halben Million Euro für einen Zeitraum von 18 Monaten.
In Karlsruhe sollen in einem ersten Schritt mindestens 125 000 Herbarbelege mit Hilfe einer hochmodernen Digitalisierstraße online verfügbar gemacht werden. Quasi auf einem Förderband werden die Exemplare automatisch fotografiert und samt eines Barcodes erfasst, wie Bussmann erklärte. Eine automatische Texterkennung sei eingebunden, die etwa bei Schreibmaschinenschrift eingesetzt werden könne. Nur bei alten Handschriften wie Sütterlin müssten die Vermerke händisch abgetippt werden.
Arnika ist nicht gleich Arnika
Auf den Etiketten oder Notizen stehen Angaben wie Pflanzennamen, Sammelort, Sammler, Datum, Nutzung und oft auch zusätzliche Angaben zum Lebensraum oder zur Höhenlage. Diese sind dem Museum zufolge immens wichtig. »Die kombinierten Daten all dieser Exemplare ermöglichen es uns, Veränderungen von Flora und Vegetation, zum Beispiel durch Klima- und Nutzungswandel zu verfolgen. Dies ist beispielsweise auch von großer Bedeutung, wenn es um die Inhaltsstoffe von Medizinal- und Nahrungspflanzen geht.«
Als ein Beispiel hierfür nannte Bussmann Arnika. Hier unterschieden sich die Wirkstoffe, je nach Herkunftsort. Wiederum könne man mit Hilfe historischer Belege nachvollziehen, ob Kamille gemessen an ihren Inhaltsstoffen heute die gleiche sei wie vor 200 Jahren. »Alles, was wir an Heilpflanzenwissen haben, geht auf altes Wissen zurück«, sagte Bussmann. Ob sich an den Inhaltsstoffen etwas geändert habe, werde kaum geprüft.
Auch für die wissenschaftliche Arbeit sei die Digitalisierung der Herbarien von Vorteil: Zum einen könnten Forschende schneller auf die Daten zugreifen, sagte Bussmann. Zum anderen würden die Sammlungen geschont, wenn sie nicht hin und her geschickt würden.
Naturkundemuseum über Anlegen eines eigenen Herbariums
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