Weltmeistertrainer Sepp Herberger (1897-1977) hat seine Erfolgskarriere aus Sicht des Historikers Prof. Hiram Kümper nicht mit entscheidender Hilfe des NS-Regimes begonnen. »Natürlich hat auch Herberger sich dem Regime auf die eine oder andere Weise angebiedert. Das kann man nicht schönreden«, sagte der Experte der Universität Mannheim der Deutschen Presse-Agentur. Am Ende des Tages habe sich Herberger aber wohl nicht sehr um Politik gekümmert. »Ihn interessierte nur Fußball«, betonte Kümper. »Und seine Karriere hat deutlich vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten begonnen.«
Der Inhaber des Carl-Theodor-Lehrstuhls an der Universität Mannheim hat Herbergers Nachlass in weit über 300 Akten gesichtet und bietet in einem ersten Band jetzt ungefilterte Einblicke in das Leben des ehemaligen Nationaltrainers. »Herberger über Herberger« erscheint mit Unterstützung der Sepp-Herberger-Stiftung und DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Der Historiker rechnet mit wohl fünf weiteren Bänden.
Beim Studium der Dokumente habe ihn die unglaubliche Akribie überrascht, sagte Kümper. »Fast hätte ich gesagt: die Besessenheit, mit der Herberger seine Erinnerungen ständig ergänzt, bearbeitet, neu kombiniert.« Für jemanden, der sich mit dem Schreiben offenbar nicht leichtgetan habe, habe Herberger »unglaubliche Berge an Texten produziert, diese Texte ständig reflektiert und bearbeitet«.
Herbergers Hinterlassenschaft sei unglaublich komplex. »Man findet hinter jedem zweiten, dritten Blatt eine neue gedankliche Biegung. Man kann es nur so sagen: der Nachlass ist ein Gesamtabenteuer.«
Ob der heutige Fußball etwas von Herbergers Methoden lernen könne, könnte ein Trainer besser beantworten als ein Historiker, meinte Kümper. »Was der Fußball aber von ihm lernen kann, ist Authentizität. Er war ohne Frage eine echte Persönlichkeit. Mit Licht und Schatten.«
In »Herberger über Herberger« sei Material zu jener Autobiographie zusammengestellt, die der in Mannheim geborene Trainer in seinen letzten Jahren zwar bearbeitet, aber nicht mehr habe fertigstellen können, sagte Kümper. »Wir haben ihm im Grunde nur eine Stimme verliehen - und uns bemüht, dass diese authentisch bleibt.« Herbergers Nachlass, meint der Historiker, dürfte zu den bedeutendsten Beständen der deutschen Sportgeschichte zählen.
DFB-Präsident Neuendorf erinnerte in seinem Vorwort daran, dass Herberger 28 Jahre lang Reichs- und Bundestrainer war. »Ein Rekord für die Ewigkeit.« Unvergesslich sei der Weltmeistertitel von 1954. »Die Verdienste Sepp Herbergers für den deutschen Fußball gehen jedoch weit über das Wunder von Bern hinaus«, betont Neuendorf.
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