Im anhaltenden Kampf gegen den Klimawandel wird dem Artensterben und seinen verheerenden Folgen aus Sicht des Stuttgarter Insektenforschers Lars Krogmann zu wenig Beachtung geschenkt. »Im Vergleich zur Klimakrise spielt die Artenkrise in der Debatte eine völlig nachgeordnete Rolle«, sagte der Leiter des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart der Deutschen Presse-Agentur. »Dabei müssten wir eigentlich stets beide Krisen thematisieren.« Vielen Menschen sei allerdings der Zusammenhang nicht bewusst. »Letztendlich gehören diese Krisen zusammen«, sagte Krogmann.
Auch das Insekten- und das Artensterben sei hochdramatisch, warnte Krogmann. »Viele denken da ans Nashorn oder an den Panda, aber das ist grundfalsch. Es sterben unzählige Insektenarten und die Zahl der uns unbekannten, aber aussterbenden Arten muss horrend sein. Je mehr von diesen Arten für immer verschwinden, desto mehr werden sich die ohnehin angeschlagenen Ökosysteme verändern.«
Nach wie vor steuerten Gesellschaft und Politik zu wenig gegen, kritisierte der renommierte Insektenforscher zuletzt auch in einem Radio-Interview: »Wir spielen russisches Roulette. Nicht nur mit unseren zukünftigen Generationen, sondern auch mit uns selbst. Alle warten und wir steuern zu wenig gegen«, sagte er dem SWR.
Nach der sogenannten Krefelder Studie ist die Masse der Insekten binnen 30 Jahren erheblich geschrumpft. Die Untersuchung ehrenamtlicher Insektenkundler des Entomologischen Vereins Krefeld zeigt, dass die Gesamtmasse an Fluginsekten in Teilen Deutschlands von 1989 bis 2016 um mehr als 75 Prozent abgenommen hat. An diesem Trend hat sich nach jüngeren Angaben des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) in den vergangenen Jahren nichts verändert.
Eine besonders große Bedrohung für die Insektenvielfalt besteht den Studien-Ergebnissen zufolge darin, dass sich Naturschutzgebiete oft in unmittelbarer Nähe zu Äckern befinden, auf denen für Insekten tödliche Pestizide ausgebracht werden. Das hat dramatische Folgen für die Tiere und die Biodiversität.
»Die Artenkrise hat den großen Nachteil, dass sie völlig irreversibel ist«, warnte Krogmann weiter. »Die Arten, die wir verlieren, können wir auch in 100 Jahren nicht genetisch neu erschaffen. Und wenn die Arten fehlen, verändern sich auch die Ökosysteme irreversibel.« Beide Krisen verstärkten sich sogar gegenseitig. »Das verändernde Klima hat einen starken negativen Einfluss auf die Artenvielfalt.«
Naturkundemuseen müssten aus Sicht Krogmanns nun eine neue Verantwortung übernehmen: »Das ist jetzt so etwas wie das Zeitalter der Naturkunde«, sagte der Insektenforscher der dpa. »Das ist die Jahrhundertchance für die Naturkundemuseen, aus dem verstaubten Schatten herauszutreten. Wir müssen vermitteln, dass wir in vielen Forschungsprojekten daran arbeiten, diese Krisen besser zu verstehen, sie zu mildern und Lösungen zu finden.«
Es müsse zudem gelingen, durch viele Gespräche, Veranstaltungen und Ausstellungen die Gesellschaft für die Probleme zu sensibilisieren. Weitere Ansätze sieht er in einem anderen Prämiensystem für die Landwirtschaft: Landwirte müssten besser entlohnt werden, wenn sie Vielfalt auf ihren Flächen zuließen. »Das darf nicht vor allem nach der Größe der Felder gehen.« Außerdem müsse die Gesellschaft dazu übergehen, nicht immer alles zu pflegen und zu mähen, sondern wachsen zu lassen, um ein Angebot für Insekten auf Wiesen zu schaffen.
Das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart bietet seinen Besuchern in zwei Ausstellungsgebäuden über zwölf Millionen Sammlungsobjekte und gehört damit zu den großen deutschen Naturkundemuseen. Der auch als Insektenexperte bekannte Krogmann arbeitet seit 2008 am Naturkundemuseum, seit 2018 leitete er die entomologische Forschungsabteilung und seit fast einem Jahr das Staatliche Museum für Naturkunde.
Museums-Steckbrief Lars Krogmann
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