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Murren über die Stuttgarter Markthalle

Was haben Auto und Motorroller hier zu suchen? Händlerwechsel löst bei den Kunden Unmut aus

Die Stuttgarter Markthalle ist ein Kleinod, um das sich viele sorgen.  FOTO: LG/IANNONE
Die Stuttgarter Markthalle ist ein Kleinod, um das sich viele sorgen. FOTO: LG/IANNONE
Die Stuttgarter Markthalle ist ein Kleinod, um das sich viele sorgen. FOTO: LG/IANNONE

STUTTGART. Aufregung um die Markthalle: Stuttgarts schönste Einkaufsadresse für Lebensmittel, das Jugendstil-Juwel, macht erheblich Wirbel unter der passionierten Klientel und verursacht heftige Vorwürfe an Thomas Lehmann, den Geschäftsführer von Märkte Stuttgart. Denn seit zwei Wochen bietet eine Fläche, gleich links nach dem Eingang von der Sporerstraße her, auf der seit Jahrzehnten Obst und Gemüse angeboten wurden, einen ungewohnten und auch gewöhnungsbedürftigen Anblick: Stehtische, flankiert von Motorrollern, einem 2CV-Oldtimer – und das ganze Arrangement garniert mit einem Hauch südlichem Flair dank künstlicher Palmen. »Mit Entsetzen haben wir die Ausstellung von Motorrollern und Autos in der Markthalle gesehen«, schreibt eine Dame vom Bopser an Lehmann und macht ihrer Empörung Luft: »Wir sind seit Generationen Kunden in der Markthalle. Wir gehen dorthin zum Einkaufen. Nicht zum Kaffeetrinken, nicht zum Weintrinken und erst recht nicht, um Werbung für Fahrzeuge anzusehen. Mit dieser Art von Programm machen Sie den wunderbaren Ruf unserer Markthalle kaputt!« Was ist da los?

»Das ist natürlich nicht die neue Art von Programm für die Markthalle«, stellt Lehmann richtig. »Und auch keine Dauerlösung, sondern eine Übergangs- und Notlösung.« Denn der Stand, der früher von Sieglinde Sorge betrieben wurde, dann unter Früchte Mayer firmierte und den zuletzt Sarah Kellner innehatte, wurde zum Jahresende aufgegeben. Als Gründe nennen Sarah Kellner und Partnerin Magdalena Milcharek die gesamtwirtschaftliche Situation und die fehlende Unterstützung durch Märkte Stuttgart.

Mehr Platz für die Gäste von Looß

Nach dem Rückbau des Standes am Dreikönigstag habe man eine Situation vorgefunden, die den Kunden sicher auch nicht gefallen hätte: Rückwände mit Kabeln, Stromkästen, Stolperkante und herausragenden Schrauben und Nägeln. »So konnte man das nicht lassen«, erklärt Lehmann. »Wir hätten die Fläche absperren und zuhängen können, bis wir einen neuen Betreiber für diesen Stand finden. Aber das wäre auch kein schöner Anblick gewesen.« Stattdessen habe man mithilfe der Firma Looß und ihres Deko-Fundus die Fläche gestaltet. »Im Gegenzug für den Aufwand und die Bereitstellung von Material und Arbeitskraft«, klärte Lehmann per E-Mail alle Markthallen-Händler auf, »wurde der Firma Looß gestattet, die Fläche vorübergehend an Samstagen in Teilen bewirtschaften zu dürfen.« Das bedeutete mehr Plätze für die Gäste der Austernbar von Looß.

Mit dem Hinweis auf einem großen Schild, dass dieser Stand zu vermieten sei, wäre die Aufregung vermutlich vermieden worden – und das Übergangsszenario so gelassen hingenommen worden, wie es Markthallen-Stammkunde Werner Schretzmeier tut, der Chef des Theaterhauses, der gerade gut gelaunt seinen Einkauf erledigt und das umstrittene Arrangement wahrscheinlich als Kulisse auf Abruf einschätzt. So aber hat die befremdliche Optik die Gerüchteküche in der Markthalle zum Brodeln gebracht: Der Stand sei an die Firma Looß vergeben, die hier schon drei Restaurants und die Austernbar betreibe, will Leserbriefschreiber Lothar Wessolly von Standbetreibern erfahren haben, man munkele von Freundschaft und Spezlwirtschaft. Denn »nach Auskunft von Insidern« hätte als Nachfolger durchaus wieder ein Obst- und Gemüsehändler zur Verfügung gestanden. Überhaupt: Während vor kaum zehn Jahren noch ein Dutzend Grünzeughändler um die Gunst der Kunden konkurrierte, gebe es jetzt nur noch einen, nämlich den der Familie Ragoßnig. »Der Stand wird definitiv nicht an die Firma Looß vergeben«, legt sich Lehmann fest. Und wird von Holger Looß bestätigt, der als Reaktion auf die Gerüchte seine Stehtische gerade wieder abbaut: »Ich habe wirklich kein Interesse an diesem Stand.« Er wünsche sich vielmehr wieder Obst und Gemüse an diesem Standort: »Da hat der Kunde sofort den Eindruck von Frische und Farbe.«

Bedarf an Wild und Geflügel

Das kann Lehmann noch nicht versprechen: Ein solcher Wechsel funktioniere eben nicht von heute auf morgen, von einem Schnellschuss halte er nichts. Aber er sei mit fünf Bewerbern im Gespräch, eine Verhandlung sei besonders erfolgversprechend. Die Entscheidung falle sicher in den nächsten vier Wochen. Bis alles in trockenen Tüchern sei, könne es Ostern werden. Ein neuer Imbiss komme jedenfalls nicht infrage. Wobei der Blick in andere Markthallen von Berlin bis Barcelona verrät, dass sich Kunden gerade inmitten des Markttreibens gern auch niederlassen.

Der Händlerwechsel und seine Begleitumstände waren, so scheint es, nur der Auslöser für eine Rundumbeschwerde. Lothar Wessolly beklagt die abnehmende Vielfalt im Sortiment und meint dabei vor allem das Angebot von Wild und Geflügel, das seit dem Tod von Händler Gunther Ludwig fehlt: Da werde man selbst als treuer Kunde vom Besuch der Markthalle abgehalten und geradezu gezwungen, anderswo einzukaufen. »Wir suchen händeringend nach einem entsprechenden Händler«, beteuert Lehmann und ist froh, in André und Jeanette Dangelser von der Firma Gastro Fresh in Vaihingen jemanden gefunden zu haben, der wenigstens am Donnerstag, Freitag und Samstag Wild und Geflügel am Käse- und Pasteten-Stand von Ludwigs Partner und Nachfolger Alain Permetzl anbietet. Bemängelt wird außerdem von Wessolly, dass »reihenweise Stände über Tage geschlossen bleiben, ohne Information für die Kunden«.

Hier müsse besser durchgegriffen werden, fordert er Lehmann auf. Der räumt ein, dass im Januar tatsächlich einige Stände geschlossen blieben: »Viele haben ihre Betriebsferien gemacht, aber es gab auch Krankheitsfälle.« Ohne ausreichend Personal, das einspringen kann, bleibe nur die Schließung. »Wir wollen alles tun, um die Vielfalt und die hohe Qualität des Sortiments in der Markthalle zu erhalten«, versichert Lehmann. Autos und Motorroller verspricht er, gehören auch künftig nicht dazu. (GEA)