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Aktuell Gendern

Mit Sternchen oder ohne? Wie gehen Reutlinger Schulen damit um?

Die Kontroverse um gendergerechte Sprache geht weiter. Die Diskussion macht auch vor Schulen nicht Halt.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat Genderzeichen bisher nicht empfohlen. FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat Genderzeichen bisher nicht empfohlen. FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat Genderzeichen bisher nicht empfohlen. FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE

REUTLINGEN/STUTTGART. Haben Sie heute schon gegendert? Oder sich vielleicht darüber aufgeregt? Über kaum ein anderes Thema wird in den letzten Jahren so emotional und heftig diskutiert wie über das Gendern. Geschlechtersensible Sprache, darin stimmen viele überein, ist wichtig – doch über das wo und vor allem wie sind sich nur wenige einig.

Gendergerechte Sprache wird von den einen als Ausdruck von Gleichstellung, von Diversität betrachtet und auch eingefordert, andere sehen das Gendern als Bevormundung, das zudem noch die deutsche Sprache verhunzt. Kommt nun noch das Thema »Gendern an Schulen« hinzu, wird es so richtig heikel. Oder etwa doch nicht? Der GEA hat bei verschiedenen Gremien und drei Reutlinger Schulen nachgehakt.

- Was bedeutet Gendern eigentlich genau?

Gendern bedeutet geschlechtergerechte Sprache. Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung der Geschlechter zum Ausdruck gebracht werden. Im Deutschen wird bis heute aber meist das generische Maskulinum verwendet, also die männliche Form.

Beim Gendern gibt es verschiedene Schreibweisen. Eine davon ist durch ein Sternchen gekennzeichnet. Aus Polizist wird dann zum Beispiel Polizist*in. Durch die Schreibweise mit dem Sternchen sollen sich Frauen, Männer und alle Menschen, die sich anders bezeichnen, angesprochen fühlen. Man kann aber auch ohne ein Satzzeichen gendern, indem man einfach beide Formen ausschreibt: Polizist und Polizistin. Beliebt beim Gendern ist auch die Neutralisierung: Aus dem Lehrer wird dann die Lehrkraft, aus dem Abteilungsleiter die Abteilungsleitung. Festzuhalten bleibt: Das Gendern ist nicht immer einfach!

- Wie steht das baden-württembergische Kultusministerium zum Gendern an Schulen?

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sagte im Juli in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten: »Es ist gut, wenn Schülerinnen und Schüler in der Schule für geschlechtergerechte Sprache sensibilisiert werden, und das Thema Geschlechtergerechtigkeit ist ja auch im Bildungsplan verankert.« Mit ihrem Nachsatz, dass sie es den Schulen überlassen wolle, ob diese Genderzeichen wie das Sternchen in Aufsätzen und Prüfungen zulassen, erntete sie viel Kritik.

Kein Wunder, dass das baden-württembergische Kultusministerium rund vier Monate später deutlich zurückrudert. Auf Nachfrage des GEA verweist es darauf, dass es zum Zeitpunkt des Interviews und auch heute keine Änderung an den Vorgaben der Schulen gab und gibt. Es seien derzeit auch keine Reformen zum Gendern an Schulen geplant. »Die Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg werden auf Grundlage des Amtlichen Regelwerks für die deutsche Orthographie unterrichtet«, so das Kultusministerium. Es speche keine darüberhinausgehenden oder davon abweichenden Empfehlungen aus.

- Wie sehen die Rechtsgrundlagen zum Thema aus?

Die zentrale Instanz in Fragen der Rechtschreibung ist in Deutschland der Rat für deutsche Rechtschreibung. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung zu bewahren und weiterzuentwickeln.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigte im Frühjahr 2021 seine Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache zu begegnen sei. Dies sei allerdings »eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann«. Der Rat blieb damit bei seiner früheren Entscheidung: Genderzeichen wie Sternchen oder Doppelpunkt werden von ihm bislang nicht empfohlen. Das Gremium kündigte aber an, das Thema im Frühjahr 2022 erneut auf die Tagesordnung zu setzen.

- Was sagt der Vorsitzende des Philologenverbands zur geschlechtergerechten Sprache an Schulen?

Als »völligen Irrsinn« bezeichnet der Vorsitzende des Philologenverbands Baden Württemberg Ralf Scholl den Vorstoß der Ministerin, es den Schulen in Baden-Württemberg selbst zu überlassen, ob sie Genderzeichen bei Prüfungen zulassen oder nicht. »Spätestens wenn ein Zweit- oder Drittkorrektor aus anderen Schulen eine Prüfung korrigiert, weiß niemand mehr, wie was zu bewerten ist. Wir brauchen an den Schulen verbindliche Standards«, sagt der ehemalige Mathe- und Physiklehrer.

Eine Diskussion über das Thema Gendern sei zwar sinnvoll, einen Zwang dazu halte er aber für nicht akzeptabel. Scholl weiter: »Für mich wird durch das Gendern Sprache schwerer lesbar, ohne dass das meiner Meinung nach inhaltlich irgendetwas bringt.« Die Schule sei dazu da, den Kindern das Rüstzeug beizubringen, »und das heißt nach wie vor: schreiben, lesen und rechnen lernen, und das nicht nur in einfachster Form«.

- Wie positioniert sich die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)?

»Gendern ist absolut zeitgemäß, immer da, wo es möglich ist, sollte man gendern«, meint Monika Stein und fügt hinzu: »Wenn Schülerinnen und Schüler gendern wollen, sollten sie auf jeden Fall das Recht dazu haben.« Die GEW wünsche sich, dass in künftigen Korrekturhinweisen für Prüfungen explizit darauf hingewiesen werde, dass Gendern möglich und erlaubt ist. »Dies aber den einzelnen Schulen zu überlassen, halten wir für nicht zielführend, wir wollen eine landesweite Regelung.« Diese müsse vom Kultusministerium kommen. Damit hätten Schülerinnen und Schüler dann laut Stein in Zukunft die Freiheit, auch in Prüfungen zu Gendern – oder eben auch nicht.

- Wie bewertet der Vorsitzende des Landeselternbeirats die Debatte?

Beim Gendern an Schulen geht es für Michael Mittelstaedt vor allem um das Vermeiden von Ausgrenzung und um eine Weiterentwicklung von Sprache, die gesellschaftlichen Wandel nicht ignorieren könne, schreibt der Vorsitzende des Landeselternbeirats dem GEA in einer schriftlichen Stellungnahme. Schule, so Mittelstaedt, habe einen Bildungsauftrag, insbesondere auch sprachlich: »Schulen kommt die Aufgabe zu, Schülerinnen und Schülern beizubringen, Sätze durch Wortwahl so zu formulieren, dass in der Breite auf ›innen‹ mit oder ohne Stern, Doppelpunkt oder ähnliches verzichtet werden kann.«

- Und wie steht der Landesschülerbeirat zum Thema Gendern an Schulen?

»Wir begrüßen, dass das Thema Gendern in den öffentlichen Diskurs kommt und auch in den Schulen Einzug hält«, sagt die Pressesprecherin des Landesschülerbeirats Elisabeth Schilli und begründet dies mit der großen gesellschaftlichen Relevanz des Themas. »Es ist ein sehr wichtiges Thema, aber auch sehr kontrovers«, meint die 18-Jährige.

Die Schulen sollten mit der Entscheidung, Gendern in Prüfungen zuzulassen, nicht alleine gelassen werden, »denn egal, wie man sich als Schule entscheiden würde, man würde in jedem Fall Gegenwind bekommen«, so Schilli. Schülerinnen und Schüler sollten selbst entscheiden, ob sie in Prüfungen gendern, sagt die Abiturientin, die sich am Telefon flüssig der geschlechtergerechten Sprache bedient und erklärt, dass sie auch in ihren in diesem Frühjahr abgelegten Abiturprüfungen gegendert habe.

- Wie gehen Reutlinger Schulen mit dem Thema um?

Gendergerechte Sprache sei Teil des Lehrplans der gymnasialen Oberstufe, so Susanne Goedicke, Rektorin am Friedrich-List-Gymnasium in Reutlingen. »Eine offizielle Vereinbarung zum Gendern an unserer Schule gibt es nicht, die Kolleginnen und Kollegen lassen das Gendern aber auch in Klassenarbeiten zu.« Und natürlich werde auch in offiziellen Schreiben der Schule gegendert. Für zentrale Prüfungen würde Goedicke sich aber klare Vorgaben aus dem Kultusministerium wünschen, auch sie sieht hier mögliche Probleme bei Zweit- und Drittkorrekturen. Bei den Schülern sei das Gendern eher kein Thema, generell sagt sie: »Es gibt an den Schulen gerade dringendere Themen.«

Gendern sei an ihrer Schule zwar erlaubt, aber bei den Schülern eher unüblich, so Marcus Fuhrich, stellvertretender Schulleiter und Geschichtslehrer am HAP-Grieshaber-Gymnasium. Er selbst achte aber sogar bei seinen Arbeitsblättern auf gendergerechte Sprache und vor allem im Geschichtsunterricht könne man auch immer wieder zeigen, zu was Sprache führen könne. »Dass Sprache auch ein Bewusstsein schafft, darin sind sich die meisten bei uns einig.«

»Sehr offen« für das Thema Gendern zeigt sich auch die Eduard-Spranger-Schule, es werde auch immer wieder im Unterricht besprochen. Ein einfaches Thema scheint es aber nicht zu sein, die Schulleiterin Gaby Kupfer bezeichnet es als »durchaus kontrovers«, die konsequente Anwendung des Genderns von Lehrkräften habe auch schon die Rückmeldung »es nervt« aus der Schülerschaft hervorgerufen. Die Schüler selbst genderten dabei eher nicht. Deutschlehrer Alexander Schreiber erklärt: »Sie sind meist so sehr mit dem normalen Schreiben beschäftigt, dass das Gendern überhaupt kein Thema für sie ist.« (GEA)