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Mit dem neuen G9 soll es für die Schulen im Land mehr Freiräume geben

Bei einem Innovationskongress wurde in Reutlingen von Schulpraktikern und Bildungsexperten die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium diskutiert. Es soll auf keinen Fall eine Rückkehr zum alten System werden.

Auf dem Podium ging es zwischen den Bildungs-Politikern nicht immer freundlich zu.
Auf dem Podium ging es zwischen den Bildungs-Politikern nicht immer freundlich zu. Foto: Beate Armbruster
Auf dem Podium ging es zwischen den Bildungs-Politikern nicht immer freundlich zu.
Foto: Beate Armbruster

REUTLINGEN. Ab dem kommenden Schuljahr ist es so weit: Das neunjährige Gymnasium (G9) wird in Baden-Württemberg wieder zur Regelform. Eine Elterninitiative hatte über Jahre für eine Rückkehr zu G9 gekämpft, ein erfolgreicher Volksantrag schließlich den Durchbruch gebracht.

Doch wie sollte ein G9 in Zeiten von Künstlicher Intelligenz, Heterogenität in den Klassenzimmern und einer als veraltet kritisierten Lernkultur an den Schulen aussehen? OECD, Hochschulen und Wirtschaft fordern seit Langem ein Umdenken: fächerübergreifendes Lernen, mehr Projektarbeit, mehr Teamfähigkeit. Von den Schulpraktikern und aus der Wissenschaft gibt es dazu viele Ideen, doch die tatsächliche Umsetzung scheint so zäh wie alter Kaugummi.

Zur künftigen Gestaltung und Umsetzung des neuen G9 fand nun letzten Freitag in Reutlingen ein »Innovationskomgress G neu(n)« statt. Veranstaltetet von der Initiative Flexible Oberstufe und dem Bündnis für ein zukunftsfähiges Abitur, trafen sich über 160 Teilnehmer, darunter viele Lehrkräfte und Schulleitungen, aber auch Bildungsexperten aus Wissenschaft, Politik und Schulverwaltung. In Impulsvorträgen, verschiedenen Workshops und Podiumsdiskussionen wurden in den Räumen der Firma Heinrich Schmid zukunftsfähige Wege zum Abitur diskutiert.

Zu viele Kompromisse nötig?

Für die teilnehmenden Lehrkräfte und Schulleitungen gab es vor Ort gleich mal eine Überraschung: Die Landesregierung plant mit der Wiedereinführung des G9 derzeit eine neue »Stundentafelöffnungsverordnung«. Der sperrige Begriff ermöglicht es, im Unterricht und in Projekten fächerübergreifend zu arbeiten und Gesamtstundenzahlen zu verändern. Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen, sagte dazu vor Ort: »Wir wären sehr dankbar, wenn die Stundenöffnungsverordnung kommt, Verlässlichkeit wäre dabei aber sehr wichtig.«

Wagner-Uhl thematisierte auch die Prüfungsvorschriften am Gymnasium und richtete am Nachmittag auf dem Politischen Podium einen Appell an die angereisten Bildungsexperten von Grünen, CDU, SPD und FDP: »Wir haben an den Schulen ein Ermöglichungsproblem: Wenn das Abitur so aussieht, wie es aussieht, dann wird eben auch so gelernt, wie gelernt wird.« Die Prüfungsvorschriften seien vorgegeben, diese führten aber »definitiv nicht in die Zukunft«.

Die Vorsitzende der Direktorenvereinigung Gymnasium Südwürttemberg, Elke Ray, forderte von der Politik langfristige Planungen: »Beim neuen G9 sind zu viele Kompromisse nötig«, kritisierte sie. »Die Schülerinnen und Schüler brauchen ein verlässliches Bildungssystem, außerdem brauchen wir eine auskömmliche Lehrerversorgung, die uns das neue G9 auch umsetzen lässt.«

Mehr Lehrkräfte gefordert

Die grün-schwarze Landesregierung hatte im Rahmen der kürzlich beschlossenen Bildungsreform auch in die Zukunft weisende Neuerungen beim neunjährigen Gymnasium angekündigt: Basiskompetenzen sollen gestärkt werden, MINT-Fächer an Bedeutung gewinnen. Auch die Demokratie- und Medienbildung bekommt eine größere Bedeutung im Lehrplan, zudem soll ein individuelles Schülermentoring eingeführt werden. Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, Timm Kern, befürwortete zwar die verstärkte Demokratie- und Medienbildung, bedauerte aber, dass eine überparteiliche Bildungsallianz im letzten Jahr nicht gelungen sei. »Wir brauchen endlich eine Bildungspolitik, die über Legislaturperioden hinaus geht«, sagte Kern. Außerdem müsse der Lehrerberuf wieder attraktiver gemacht werden.

Der Bildungsexperte der SPD, Stefan Fulst-Blei, forderte beim neuen G9 Nachbesserungen der Landesregierung und forderte unter anderem eine Aufstockung der Lehrkräfte. Er bedauerte, dass Schüler ab Klasse 7 im kommenden Schuljahr nicht beim neuen G9 mit dabei sind. Ob es hier in der Zukunft noch Änderungen geben könnte? »Für mich ist das Thema noch offen«, so Fulst-Blei mit Blick auf die kommende Landtagswahl.

Thomas Poreski, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, verteidigte die Pläne der Landesregierung in Sachen G9 und fasste die Misere an den Schulen aus seiner Sicht noch einmal zusammen: »Wir haben viel zu volle Bildungspläne, alles ist auf die Prüfung fixiert, bei den Schülern bleibt am Ende viel zu wenig hängen«, so Poreski.

Mehr Freiräume an Schulen wagen

Er appellierte dabei auch an die Schulleitungen und Lehrkräfte im Land, die nun die Neuerungen und Möglichkeiten vor Ort umsetzen müssten: »Wir haben mit dem neuen G9 Innovationselemente eingeführt. Wenn dies aber nichts daran ändert, wie Schule gestaltet wird, wie Lernen stattfindet, wird es in ein paar Jahren ein böses Erwachen geben und man wird sich die Frage stellen: Was hat sich jetzt eigentlich geändert?«

Friedemann Stöffler, Vorsitzender der Initiative »Flexible Oberstufe« und Mitinitiator des Bildungskongresses zeigte sich am Ende zufrieden mit dem Austausch: »Schulen wollen innovativer arbeiten und sich an Innovationsprozessen beteiligen. Mehr Freiräume für die Schulen wagen, könnte ein Anfang für Innovation im Bildungssystem sein.« (GEA)