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Mann muss nach Schütteltod von Jungen in Haft

Ein Mann soll das fünfjährige Kind seiner Ex-Freundin zu Tode geschüttelt haben. Warum tat er das? Auch nach dem Tod des behinderten Jungen fehlt der Mutter eine Antwort. Das Gericht ist aber überzeugt von der Schuld des jungen Mannes.

Prozess gegen einen Mann wegen Totschlags
Der verurteilte Täter im Landgericht Stuttgart. Foto: Christoph Schmidt
Der verurteilte Täter im Landgericht Stuttgart.
Foto: Christoph Schmidt

Warum der Junge sterben musste an jenem Tag, wird die Mutter des Kindes wohl nie erfahren. Denn als der behinderte Fünfjährige sein letztlich tödliches Schütteltrauma erlitt, war er allein mit ihrem Ex-Freund. Und der weist jede Verantwortung zurück. Das Stuttgarter Landgericht zeigte sich am Montag jedoch überzeugt von seiner Schuld und verurteilte den 25-Jährigen zu neun Jahren Haft wegen Totschlags. Er habe das Kind im Sommer 2020 in Sindelfingen durch heftiges Schütteln umgebracht, während er auf den Jungen und dessen damals nur wenige Monate alten Bruder aufpassen sollte. Die Gutachten der Sachverständigen hätten keinen Zweifel zugelassen.

»Zum Zeitpunkt des Schütteltraumas, das zum Tode geführt hat, waren nur Sie mit dem Kind zusammen«, sagte der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer zum regungslos auf der Anklagebank verharrenden Mann. »Und zum Zeitpunkt, als die Mutter die Wohnung verlassen hatte, war der Junge wohlauf.« Die Sachverständigen seien zudem übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Schütteltrauma vorgelegen habe. Er habe das Kind, das kaum sehen, nicht sprechen und sich nur stark eingeschränkt auf dem Rücken robbend fortbewegen konnte, hochgenommen und »mit hoher Frequenz hin- und hergeschüttelt«, warf ihm der Richter weiter vor.

»Warum Sie das zu diesem Zeitpunkt taten, wissen wir nicht«, sagte der Kammervorsitzende. »Den Tod nahmen Sie jedenfalls in Kauf, als Sie ihn geschüttelt haben.« Denn dem angeklagten Deutschen sei die Gefahr bewusst gewesen, zumal er vor vier Jahren in einen ähnlichen Vorfall verwickelt gewesen sei. Ermittlungen waren danach aber eingestellt worden, weil niemandem eine Tat zugeordnet werden konnte.

Die fehlende Antwort auf das ewige »Warum«, das ist es auch, was der Mutter nach Angaben ihrer Anwältin zwei Jahre nach der Tat so zusetzt. »Ob der Täter nun 10 oder 15 Jahre ins Gefängnis kommt, ist unwesentlich für sie«, sagte Romy Besu nach der Urteilsverkündung. »Was ihr geholfen hätte, wäre eine Erklärung gewesen oder eine Entschuldigung.« Die Juristin hatte in der Nebenklage ebenso wie die Staatsanwaltschaft zehn Jahre Haft unter anderem wegen Totschlags gefordert, die Verteidigung hatte hingegen auf Freispruch plädiert.

Ein Schütteltod wie bei dem Jungen aus Sindelfingen ist in Deutschland alles andere als ein Einzelfall. Immer wieder müssen sich Strafkammern mit den oft tödlichen Folgen starken Schüttelns auseinandersetzen - sehr oft müssen die Verantwortlichen für viele Jahre ins Gefängnis. Nicht selten verlieren Eltern die Nerven und schütteln ihr Baby oder Kleinkind heftig, wenn es zum Beispiel anhaltend schreit.

Schon seit einigen Jahren versucht ein Bündnis gegen Schütteltrauma über die Gefahren aufzuklären. Nach den Schätzungen werden deutschlandweit jährlich zwischen 100 und 200 Säuglinge und Kleinkinder mit Schütteltraumata in Kliniken gebracht. Jedes vierte derart misshandelte Kind stirbt in der Folge, die meisten Überlebenden erleiden dauerhafte Schäden. Aber die Dunkelziffer ist hoch, da leichtere Fälle schwer zu erkennen sind, wie das Nationale Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mitteilt.

Nach einer bereits zwischen 2006 und 2009 erstellten Studie (ESPED oder »Erhebungseinheit für Seltene Pädiatrische Erkrankungen in Deutschland«) sind Väter für bis zu 60 Prozent der Fälle verantwortlich, Lebensgefährten der Mutter tragen in neun Prozent der Fälle die Schuld. Besonders betroffen sind Kinder zwischen sechs und acht Wochen, es können aber auch ältere Jungen und Mädchen durch Schütteln zu Tode kommen.

© dpa-infocom, dpa:220529-99-473177/6