Mithelfen in der Altenpflege oder auf dem Bauhof: Die Landkreise in Baden-Württemberg fordern für Flüchtlinge eine Pflicht zu arbeiten - im Zweifel auch gemeinnützig. »Es wäre uns Landkreisen - auch mit Blick auf die dringend benötigte gesellschaftliche Akzeptanz - wichtig, dass Geflüchtete rasch in Arbeit kommen, hilfsweise auch in gemeinnützige«, sagte der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter (CDU), einer Mitteilung zufolge. Es müsse »ohne ideologische Scheuklappen hinterfragt werden, ob das deutsche Sozialrecht bei den Geflüchteten immer die richtigen Anreize setzt«.
In einer einstimmig verabschiedeten Resolution sprechen sich die Landrätinnen und Landräte dafür aus, dass »eine über die bisherigen Regelungen und Umsetzungsformate hinausgehende Verpflichtung Schutzsuchender zur Annahme von auch gemeinnütziger Arbeit etabliert und organisiert wird«. Sinnvoll seien dabei auch Angebote zum weiteren Spracherwerb. Es brauche »praktikable, bürokratiearme Umsetzungsformate«, sagte Walter, der auch Landrat im Kreis Tübingen ist.
Zustimmung für die Forderung der Landräte kommt von den Gemeinden in Baden-Württemberg. »Unser Sozialstaat hilft denen, die Hilfe brauchen. Der Staat muss jedoch erwarten dürfen, dass jeder Einzelne dann auch im Rahmen seiner Möglichkeiten zum Gelingen der Gesellschaft beiträgt - beispielsweise auch über eine gemeinnützige Arbeit«, sagte Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags. Unterstützung werde etwa in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge benötigt, etwa auf Bauhöfen - sowie im Alten- und Pflegebereich sowie generell in Mangelberufen.
Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl forderte angesichts der Initiative der Landkreise erneut, dass in Berlin Maßnahmen zur Begrenzung und Steuerung der Migration ergriffen würden. Die Kommunen würden im Stich gelassen, meinte der Innenminister. »Die Bundesregierung muss die Signale der Kommunalen endlich hören und sofort handeln, sonst kollabieren die Systeme.«
Die Landtags-SPD meinte, dass der Vorschlag der Kreise angesichts des »behördlichen Schwergangs« kaum umzusetzen sei. »Menschen wollen arbeiten, aber sie müssen lange auf die Erlaubnis warten«, sagte Innenexperte Sascha Binder. Die Behörden schafften es bereits jetzt kaum, Verfahren in angemessener Zeit abzuarbeiten. »Wer jetzt fordert, sie sollten eine allgemeine Arbeitspflicht überwachen und umsetzen, darf gerne erklären, woher die Kapazitäten kommen sollen.«
Zudem fordern die Landrätinnen und Landräte erneut eine Absenkung der Standards bei der Aufnahme, Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen - auch bei älteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Außerdem müssten die deutschen Sozialleistungen für Schutzsuchende europaweit harmonisiert werden. Dazu gehöre, neu nach Deutschland kommenden Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz statt des Bürgergelds zu zahlen.
»Auch wenn wir Landkreise zu unserer humanitären Verantwortung stehen und dies tagtäglich unter Beweis stellen, ist es doch so, dass wir immer häufiger an unsere Leistungsgrenzen stoßen«, sagte Walter weiter. Weil der Aufwand für Unterbringung und Versorgung so groß sei, leide auch die Integration der Menschen. »Ich fürchte ernsthaft, dass uns dies am langen Ende gesamtgesellschaftlich auf die Füße fallen wird. Integration ist bekanntlich ein Langstreckenlauf, und wir stolpern auf den ersten Metern«, sagte Walter.
Die Kommunen im Südwesten forderten außerdem erneut mehr Geld vom Bund. Dabei gehe es neben den Kosten für Unterbringung und Lebensunterhalt auch um die Kosten für Kita, Schule und Integrations- und Sprachkosten, die oft von den Kreisen bezuschusst würden. Wer wie der Bund die Rahmenbedingungen für den Zuzug von Geflüchteten setze, müsse auch für die kommunalen Folgekosten einstehen, sagte Walter. Hier gelte das Verursacherprinzip. »Genauso klar ist aber auch, dass wir die Erstattung unserer Geflüchtetenkosten vom Land einfordern werden, wenn der Bund säumig bleibt.«
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