Auf der Suche nach zusätzlichen Pflegekräften aus dem Ausland will Baden-Württemberg stärker mit der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten und in den Sprachunterricht investieren. Das Land werde Sprachkurse ausländischer Pflegekräfte in deren Herkunftsland mit einer Million Euro finanzieren, kündigte Gesundheitsminister Manne Lucha am Mittwoch in Stuttgart an. Außerdem nehme Baden-Württemberg künftig an einem Programm der Bundesagentur teil, mit dem Pflegefachkräfte aus Ländern wie Bosnien-Herzegowina, Tunesien, Jordanien und den Philippinen angeworben werden sollen.
Im Rahmen des 2013 gestarteten Programms »Triple Win« werden potenzielle Beschäftigte schon in ihren Heimatländern auf ihren künftigen Einsatz in deutschen Pflegeheimen vorbereitet. Bei der Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse werden sie ebenso wie bei ihrer Integration an ihrem deutschen Arbeitsplatz von Betreuern unterstützt. So soll vor allem sichergestellt werden, dass die Anwerbung der Menschen rechtlich und moralisch einwandfrei verläuft und die Herkunftsländer ebenfalls profitieren. Eine Auflage für »Triple Win« ist, dass in den Herkunftsländern selbst kein Mangel an Pflegekräften herrschen soll.
»Bereits im Herkunftsland erworbene Sprachkenntnisse erleichtern sowohl den interessierten ausländischen Fachkräften als auch den beteiligten Institutionen und Pflegeeinrichtungen im Land den Prozess der Eingliederung in den Arbeitsmarkt«, sagte Christian Rauch, der Leiter der Regionaldirektion Baden-Württemberg. Vor allem kleinere Pflegebetriebe könnten davon profitieren.
Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe sieht die Sprache als Voraussetzung: »Das ist ein kommunikativer Beruf, Sprache spielt da eine zentrale Rolle«, sagte die Landesvorsitzende Andrea Kiefer. Wichtig sei es aber auch, für die Helfenden aus dem Ausland zu sorgen: »Es braucht ein Rahmenprogramm«, sagte Kiefer der dpa. »Wenn die Pflegekräfte nur hierherkommen und arbeiten, dann bleiben sie alleine, integrieren sich nicht und kehren schnell zurück.«
Der Frankfurter Gesundheitsökonom Professor Thomas Busse spricht von einem »Gesamtpaket«, das angeboten werden müsse. »Man muss zudem mit offenen Karten im Land spielen und die Menschen wissen lassen, was sie erwartet.« Oft sei die Ausbildung im Ausland akademischer als der praxisnahe deutsche Ansatz.
Das Problem fehlender Arbeitskräfte müsse aber vor allem in der Branche gelöst werden: »Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden«, sagte Busse. Pflegekräfte litten an starren Hierarchien, familienunfreundlichen Dienstplänen und zu viel Bürokratie. »Eine Pflegekraft arbeitet im Durchschnitt nur sechs bis zwölf Jahre in dem Beruf. Arbeitgeber brauchen moderne Konzepte und mehr Anreize, um sie länger zu halten.« Weitere Stellschrauben sieht er darin, ausgeschiedene Kräfte zurückzugewinnen oder Teilzeitkräfte zum Aufstocken zu bewegen.
Nach Angaben Luchas haben im Jahr 2020 rund 1700 Pflegekräfte aus dem Ausland auf der Grundlage ihrer Qualifikation grünes Licht zum Arbeiten in Deutschland bekommen, bei weiteren rund 2000 ist die Erlaubnis eingeschränkt, weil zum Beispiel noch Prüfungen fehlen. Über das Programm »Triple Win« hofft das Land, weitere 200 Pflegekräfte zu gewinnen.
Das reicht aber nicht aus, betonte Lucha. »Wir müssen unsere Anstrengungen zur Fachkräftegewinnung verstärken und alle verfügbaren Stellschrauben nutzen, weil wir einen unglaublich hohen Bedarf an Pflegeberufen haben«, sagte der Minister.
Aus Sicht der oppositionellen AfD-Fraktion setzt Lucha falsch an: »Wenn in einem bevölkerungsreichen Land wie Deutschland niemand im Pflegebereich arbeiten will, dann muss man an den Bedingungen in diesem Bereich etwas ändern und nicht einfach in schlimmster Kolonialherrenmanier Arbeitskräfte aus dem Ausland «rekrutieren»«, sagte AfD-Fraktionschef Bernd Gögel. Das gewonnene Personal bleibe letzten Endes wohl ohnehin nicht lange. »Niemand will unter solchen Bedingungen arbeiten - das ist schlichtweg Fakt«, sagte Gögel.
Die Zeit drängt, denn die Situation in der Altenpflege in Baden-Württemberg wird nach einer Prognose der Krankenkasse Barmer brisanter als bisher angenommen. Bis zum Jahr 2030 werden demnach 710 000 Menschen auf entsprechende Hilfe angewiesen sein, wie aus dem jüngsten Pflegereport der Krankenkasse hervorgeht. Das wären über ein Fünftel mehr Menschen, die dann Hilfe benötigten als bislang angenommen. Zugleich fehlen laut Barmer zusätzlich Tausende Pflegekräfte. Bundesweit gingen Experten sogar davon aus, das bis zum Jahr 2025 rund 150.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt würden, sagte Vanessa Ahuja, Vorständin Leistungen und Internationales der Bundesagentur für Arbeit.
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe
Informationen zum Programm »Triple Win«
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