REUTLINGEN. Hitzewellen, Dürreperioden, Flutkatastrophen: Der Klimawandel ist nicht mehr zu übersehen. Doch er wirkt sich nicht überall gleich aus. Einige Regionen Deutschlands trifft es besonders hart. Das gilt vor allem für den Südwesten. Wie wird es hierzulande Ende des Jahrhunderts aussehen? Welche Auswirkungen hat das auf den Alltag? Und wie können die Menschen sich schützen? Davon haben die Umweltämter eine recht genaue Vorstellung. Ein Überblick.
- Wie wird das Klima im Südwesten?
»Das Klima in Deutschland verschiebt sich.« Das geht aus einer Datenanalyse des Umweltbundesamts hervor. Die Studie zeigt mittels sogenannter »Zwillingsstädte«, welchen anderen europäischen Regionen das Klima hierzulande künftig ähneln könnte. Dabei ist die Veränderung bereits in vollem Gange: »Heute weisen viele Regionen in Deutschland ein Klima auf, das vor 50 Jahren 100 bis 600 Kilometer weiter im Südwesten herrschte«, schreiben die Wissenschaftler. Reutlingen beispielsweise fühlt sich aktuell so an wie Freiburg Ende des letzten Jahrhunderts (1961 – 1990).
»Ohne Schutzmaßnahmen wird sich die Verschiebung der klimatischen Bedingungen deutscher Städte in Richtung Südwesten, größtenteils nach Zentral-Frankreich, bis Mitte des Jahrhunderts (2031 – 2060) weiter fortsetzen«, warnen die Studienautoren. Reutlingen landet dann bei Lyon. Bis Ende des Jahrhunderts (2071 – 2100) würde es noch wärmer. »Die Klimate der meisten deutschen Städte können sich dann zwischen den früheren (1961 – 1990) Klimaten der französischen Atlantikküste und der Adriaküste von Mittelitalien bis Kroatien befinden«, heißt es in der Studie. Für Reutlingen wird ein Klima wie im italienischen Ancona prognostiziert.
- Jetzt mal konkret: Wie verändern sich Temperatur und Niederschlag?
»Die Sommer werden heiß und trocken, die Winter mild und feucht«, sagt Sabrina Plegnière voraus. Der Geografin von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg zufolge liegt das einerseits am Temperaturanstieg. »Seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881 ist es in Baden-Württemberg im Jahresmittel um rund 1,5 Grad Celsius wärmer geworden«, berichtet Plegnière. Dieser Trend setze sich fort, wenn nicht mit effektiven Klimaschutzmaßnahmen gegengesteuert werde. »Dann läge die Durchschnittstemperatur Mitte des Jahrhunderts zwischen 9,2 und 10,2 Grad, Ende des Jahrhunderts sogar zwischen 11,4 und 12,9 Grad«, warnt Plegnière.
»Es ist aber nicht nur wärmer, sondern auch heißer geworden«, betont Plegnière. »Die Anzahl der heißen Tage mit Höchstwerten von mindestens 30 Grad hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt.« Zwischen 1961 und 1990 gab es in Baden-Württemberg durchschnittlich fünf heiße Tage pro Jahr, zwischen 1991 und 2020 bereits zehn.
Andererseits spielt der Regen eine Rolle. »Der Niederschlag verschiebt sich im Jahresverlauf«, erklärt Plegnière. »Im Sommer gibt es weniger, im Winter mehr.« Dieser Trend könnte sich den Modellen nach künftig noch verstärken.
- Trifft es den Südwesten am härtesten?
»Bei einem ungebremsten Klimawandel würden die Risiken durch Hitze, Trockenheit und Starkregen im gesamten Bundesgebiet künftig stark ansteigen«, teilt das Umweltbundesamt mit. Letztes Jahr hat das Amt gemeinsam mit 24 weiteren Bundesbehörden eine Klimawirkungs- und Risikoanalyse für Deutschland veröffentlicht. Sie zeigt: Das Klima wird sich zwar in der gesamten Republik verändern, aber nicht überall gleich stark. Einige Regionen trifft es besonders hart.
Dazu gehört vor allem der Südwesten. Hierzu vermeldet die Studie: »Im Westen und Süden Deutschlands wird sich das Klima relativ zu heute am stärksten verändern.« Auch im Ergebnis erwischt es Baden-Württemberg schlimm. »Im Südwesten und Osten werden klimatische Extreme am häufigsten vorkommen«, kündigt das Umweltbundesamt an. All das gilt für die Mitte des Jahrhunderts unter Annahme einer um 3 Grad erhöhten mittleren Jahrestemperatur gegenüber der frühindustriellen Zeit.
Ende des Jahrhunderts jedoch fallen regionale Unterschiede nicht mehr ins Gewicht. »Bei einem starken Klimawandel wird ganz Deutschland ein Hotspot für Risiken des Klimawandels«, lautet das drastische Urteil der Behörde.
- Warum wird der Südwesten zum Hotspot?
Einer der Gründe dafür ist laut Inke Schauser der Oberrheingraben, eine der wärmsten Regionen Deutschlands. Die Klimafolgenforscherin hat fürs Umweltbundesamt an der Studie mitgearbeitet und sagt: »Dort ist es jetzt schon relativ heiß. Und es wird noch deutlich heißer.«
So viel zu den Tälern, doch auch die Höhenlagen sind gefährdet. Mit Schwäbischer Alb und Schwarzwald hat Baden-Württemberg vergleichsweise hohe Gebirge für deutsche Verhältnisse. »Dort findet – relativ betrachtet – die stärkste Erwärmung statt«, weiß Schauser. Kollegin Plegnière gibt ein Beispiel: »Ende des Jahrhunderts könnte es im Extremfall im Schwarzwald so warm sein wie jetzt im Oberrheingraben: also 9 bis 10 Grad im Jahresmittel.«
Dazu kommen extreme Niederschläge. Starkregen wird zwar bundesweit häufiger auftreten, zeigt die Studie. »Doch zum Problem wird das vor allem in Mittelgebirgen mit großen Höhenunterschieden und engen Tälern«, sagt Schauser. Denn dort sammele sich das abfließende Wasser in einem kleinen Bereich. Die Überflutungen in Münster 2014, Simbach und Braunsbach 2016 sowie dem Ahrtal 2021 zeigen laut Schauser: »Das ist eine Kette von Extremereignissen.«
- Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf den Alltag?
»Die Schäden wirken sich wie bei einem Dominoeffekt von bereits heute stark belasteten Ökosystemen hin zum Menschen und seiner Gesundheit aus«, schreiben die Bundesbehörden in ihrer Klimawirkungs- und Risikoanalyse für Deutschland. Böden, Wälder und Gewässer leiden unter Hitze und Trockenheit. Das hat Auswirkungen auf Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei: Die Bauern kämpfen mit sinkenden Erträgen, die Förster mit neuen Schädlingen und die Schiffer mit Niedrigwasser. Auch die Infrastruktur wird in Mitleidenschaft gezogen: Die Trockenheit beeinträchtigt Warentransport und Energieerzeugung, Starkregen und Sturzfluten beschädigen Bauwerke und Verkehrswege.
Vor allem die Städte heizen auf. »Besonders gefährlich wird die Hitze für Senioren, Kinder und Menschen mit Vorerkrankungen«, warnt Schauser. Außerdem wandern Krankheitsüberträger über die Rheinschiene ein. »Neue Mückenarten werden aus Südeuropa mit dem Verkehr eingeschleppt. Der Klimawandel beschleunigt ihre Ausbreitung und Etablierung«, erklärt Schauser.
- Werden Teile Baden-Württembergs unbewohnbar?
Wolfram Geier vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt ein Stück weit Entwarnung: Tatsächlich unbewohnbar wie zum Beispiel die Wüsten Afrikas werde die Bundesrepublik nicht, räumt der Leiter des Risikomanagements gegenüber der »Neuen Zürcher Zeitung« ein. »Aber man muss auch in Deutschland darüber sprechen, ob man aufgrund von Wetterextremen in stark hochwasser- oder dürregefährdeten Gebieten wie im Südwesten oder Nordosten langfristig gut wohnen und wirtschaften kann.«
Schauser vom Umweltbundesamt wird deutlicher: »Es geht nicht ums Können, sondern ums Wollen«, konstatiert sie. Technisch sei vieles möglich. Doch wenn etwa Kommunen Neubauten in überschwemmungsgefährdeten Gebieten zuließen, stelle sich die Frage: »Wer trägt das Risiko und wer kommt notfalls für den Schaden auf? Der Hausbesitzer, die Versicherung oder der Steuerzahler?«
- Wie können die Menschen sich schützen?
Die Klimaexpertinnen haben dazu klare Empfehlungen: »Um gegen Starkregen und Trockenheit gewappnet zu sein, muss der Boden Wasser aufnehmen und speichern können«, sagt Schauser. Dafür braucht es eine bodenschonende Bewirtschaftung im Acker- und Forstbau. Zugleich sollten die Landwirte auf neue Pflanzensorten umsteigen, die Hitze, Trockenheit und Starkregen besser vertragen. »Dazu wird viel geforscht, aber noch zu wenig umgesetzt«, räumt Schauser ein. »Reine Fichtenwälder, wie sie lange im Schwarzwald vorherrschten, sollten der Vergangenheit angehören«, ergänzt Plegnière. Denn diese Bäume seien anfällig für Trockenheit und Schädlinge. Aber auch hier tue sich etwas: »Die Forste werden bereits zu Mischwäldern umgebaut.«
Auch in den Städten steht viel Arbeit an. Schauser spricht von »Schwammstadt«, Plegnière von »blau-grüner Infrastruktur«. Beide meinen dasselbe: Brunnen und Seen auf Plätzen und in Parks, Bäume und Ranken auf Freiflächen und an Hausfassaden sollen Wasser in der Stadt halten, Schatten spenden und so für Kühlung sorgen. (GEA)