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Kritik und Ratlosigkeit nach Kot-Attacke von Marco Goecke

Die Kunst vom Künstler trennen? Nach der Kot-Attacke hagelt es Kritik an Choreograph Marco Goecke. Sein Werk sollte trotz der Tat nicht zur Disposition gestellt werden, meint das Ministerium.

Marco Goecke
Marco Goecke, Ballettdirektor der Staatsoper Hannover. Foto: Christophe Gateau
Marco Goecke, Ballettdirektor der Staatsoper Hannover.
Foto: Christophe Gateau

Die Hundekot-Attacke des Choreographen Marco Goecke auf eine Journalistin sorgt für viel Kritik - aber auch für Ratlosigkeit im Umgang mit dem Werk des Künstlers. Während Landtagspolitiker von CDU und FDP das Ende der Zusammenarbeit mit Goecke fordern, mahnen die Landtags-Grünen zur Besonnenheit. Das Nationaltheater Mannheim zögert noch. Die Stuttgarter Tanzcompagnie Gauthier Dance will einen Film aus dem Programm streichen. Ein Sprecher des baden-württembergischen Kunstministeriums verurteilte am Freitag den Angriff als »nicht tolerabel«. Er müsse zivil-, straf- und arbeitsrechtlich aufgearbeitet werden. Der künstlerische Wert des bestehenden Werks sei aber von der aktuellen Tat unabhängig.

Als Ballettdirektor der Staatsoper Hannover hatte Goecke am vergangenen Samstagabend bei der Premiere des Ballettabends »Glaube - Liebe - Hoffnung« eine Kritikerin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« im Foyer des Opernhauses mit Hundekot beschmiert. Zuvor hatte er ihr vorgeworfen, immer »schlimme, persönliche« Kritiken zu schreiben. Am Donnerstag teilte die Staatsoper mit, dass Goeckes Vertrag als Ballettdirektor mit sofortiger Wirkung und im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst worden sei.

Der Sprecher des Stuttgarter Ministeriums betonte, die Politik wolle aufgrund der vom Grundgesetz geschützten Kunstfreiheit keinen Einfluss auf künstlerische Entscheidungen der Theater nehmen. »Wir befürworten ausdrücklich, dass diese das Gespräch mit Marco Goecke suchen werden. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, dass das bereits bestehende choreographische Werk von Marco Goecke aufgrund seiner Tat nicht zur Disposition gestellt werden sollte.« Das Werk sei auch von Tänzerinnen und Tänzern miterschaffen worden. Es sei Teil eines Repertoires von Compagnien.

Goecke ist auch an Bühnen in Baden-Württemberg engagiert. Bei der Stuttgarter Tanzcompagnie Gauthier Dance firmiert er seit 2019 als sogenannter Artist in Residence im Theaterhaus. Der Vertrag laufe im Juli dieses Jahres aus, sagte eine Sprecherin von Gauthier Dance, der Compagnie des Theaterhauses, am Freitag. Schon vor der Kot-Attacke sei klar gewesen, dass er nicht verlängert wird. Die Spielzeiten würden Jahre im Voraus geplant - und das ohne neue Stücke Goeckes.

Die von ihm für Gauthier Dance kreierten Choreographien blieben fester Bestandteil des Repertoires, hieß es in einem Statement. Ein fünfminütiger Kurzfilm Goeckes werde in der Produktion »15 Years Alive« ab März aber vor dem Hintergrund der aktuellen Situation nicht mehr gezeigt. Zuvor hatten mehrere Medien darüber berichtet.

Am Nationaltheater Mannheim steht mit »Woke up Blind« im Rahmen der Tanzpremiere »Young Lovers« am 15. April eine Choreographie von Goecke auf dem Plan. Man habe noch keine Entscheidung über den Auftritt getroffen. »Wir befinden uns im Gespräch und Abstimmungsprozess«, sagte eine Theatersprecherin am Freitag auf Anfrage. Die Tanzleitung des Hauses bedauere den justiziablen Vorfall sehr. Man verurteile jegliche Form von Gewalt. Zuvor hatte der »Mannheimer Morgen« darüber berichtet.

Aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion sollte eine Zusammenarbeit mit dem Choreographen beendet werden. »Dass Marco Goecke weiter mit öffentlichen Geldern der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Baden-Württemberg unterstützt wird, halten wir für inakzeptabel«, schreibt der Abgeordnete Albrecht Schütte an Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne).

Der kulturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stephen Brauer, meinte: »Nun ist die Ministerin am Zug, die entsprechenden Schritte zu veranlassen. Wer auf vulgärste Art übergriffig wird, der dürfte wohl auch in Baden-Württemberg kaum erwünscht sein.«

Der kulturpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Erwin Köhler, sagte: »Kritische Presse ist ein wesentliches Element demokratischer Grundordnung - genauso wie die Kunstfreiheit.« Man distanziere sich deshalb von dem Angriff, begrüße aber, dass das Theaterhaus sich für Gespräche zur Aufklärung einsetze. Goecke stehe gegenüber dem Privattheater in einem Arbeitsverhältnis - eine Beantwortung etwaiger Konsequenzen liege diesbezüglich erstmal beim Arbeitgeber.

Vor seinem Start bei Gauthier Dance war Goecke auch Hauschoreograph am Stuttgarter Ballett. Das Theaterhaus wird nach Angaben des Kunstministeriums als soziokulturelles Zentrum mit Mitteln von Stadt und Land gefördert.

© dpa-infocom, dpa:230217-99-633370/6