Das Land Baden-Württemberg setzt beim Umbruch in der Autoindustrie auch auf neue Regeln auf EU-Ebene. »Wir konkurrieren heute mit Regionen, die massive staatliche Unterstützung bieten können«, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch in Brüssel. Es habe aber keinen Sinn, erst den Standort Baden-Württemberg zu schwächen, um dann auch hier tätig zu werden.
Das Land fordert daher eine Neuausrichtung der EU-Strukturförderung, die bislang vor allem für wirtschaftsschwache Regionen vorgesehen war. Auch die industriellen Zentren, die sich im Umbruch befinden, sollten dabei in den Fokus genommen werden. Dazu zählt sich auch der Südwesten und sieht sich aktuell vor allem bei Neuansiedlungen im Hintertreffen gegenüber anderen Regionen. Ein starkes Baden-Württemberg sei jedoch wichtig für Europa, sagte Kretschmann.
Kretschmann war am Mittwoch unter anderem mit den Vorständen von Mercedes, Bosch und Porsche sowie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton zu einem »Strategiedialog Automobilwirtschaft« in Brüssel zusammengekommen.
Breton reagierte in der anschließenden Pressekonferenz nicht direkt auf die Forderungen Kretschmanns. Man müsse aber eventuell über zusätzliche Fördertöpfe für Weiterbildungsmaßnahmen nachdenken, sagte er. Sonst sprach Breton hauptsächlich über das EU-Ziel, bis 2035 nur emissionsfreie Neuwagen auf die Straße zu bringen.
Baden-Württemberg sei ein starker Standort, aber eben einer, der sich im Umbruch befinde, sagte Kretschmann. Er warnte ferner vor einer bürokratischen Überregulierung in der EU. Stattdessen müsse man innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und eine »Ermöglichungskultur« schaffen. »Wenn wir im globalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen wir noch ein paar Schippen drauflegen.« Zentral sei etwa der Ausbau der europäischen Ladeinfrastruktur und einer Infrastruktur für Wasserstoff.
Mit Kretschmann waren unter anderem Mercedes-Chef Ola Källenius, Bosch-Chef Stefan Hartung und Porsche-Beschaffungsvorständin Barbara Frenkel nach Brüssel gereist. Vor allem die geplante Einführung der neuen Abgasnorm Euro-7 ab Juli 2025 brannte den Konzernchefs unter den Nägeln. Zu kurzfristig sei die Regelung gekommen, sagte Källenius an Breton gewandt - zudem gebe es noch rechtliche Unsicherheiten, die dringend gelöst werden müssten. Vordergründig gehe es um Details - aber um solche, die für einzelne Produktklassen das Aus bedeuten könnten.
Die EU-Pläne, bis 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen auf die Straße zu bringen, stießen bei den Wirtschaftsvertretern im Südwesten hingegen auf keine große Kritik. Mercedes plane ohnehin, bis Ende des Jahrzehnts in einige Regionen nur noch E-Autos zu verkaufen, sagte Källenius. Porsche-Vorständin Frenkel bekräftigte die Haltung ihres Unternehmens, dass es neben der E-Mobilität auch eFuels brauche.
Kritik an der Veranstaltung kam vom Umweltverband BUND: »Wir vermissen eine Diskussion darüber, wie sich die Mobilität weltweit entwickeln muss, um den Anforderungen des Klimaschutzes zu genügen«, sagte die Südwest-Landeschefin Sylvia Pilarsky-Grosch. In Baden-Württemberg sei noch nicht angekommen, dass ein Wechsel des Antriebssystems allein nicht genügen werde. Auch E-Autos brauchten Flächen, Ressourcen und Energie bei der Herstellung. »Wenn die Automobilindustrie die Klimakrise nicht weiter anheizen soll, müssen wir uns überlegen, wie nicht nur das Produkt, sondern auch die Produktionsweise klimaneutral zu gestalten ist.«
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