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Kretschmann: »Werden so nicht mehr regieren können«

Das Land will gemeinsam gegen zu langsame und umständliche Prozesse in der Verwaltung sowie zu starre Vorschriften und Regulierungen vorgehen. Denn so wie bisher, so Ministerpräsident Kretschmann, wird man nicht weitermachen können. Die Opposition hört kritisch zu.

Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

Angesichts der überbordenden Bürokratie verbunden mit dem Fachkräftemangel wird Deutschland nach Worten von Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht länger in dieser Form regierbar sein. »Wir sind in den Kommunen, im Land und im Bund an einem Scheideweg, weil wir das Personal gar nicht mehr haben werden, so filigrane Regulierung überhaupt zu administrieren«, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. »Wir werden so nicht mehr regieren können.« Oppositionspolitiker warfen dem Regierungschef unter anderem Scheinheiligkeit vor.

Der Kampf gegen die zunehmende Bürokratie sei eines der ganz großen Probleme der Politik, sagte Kretschmann. »Wir sind zu langsam und die Welt wartet nicht auf Deutschland - darum müssen wir das jetzt ändern.« Man habe in 70 Jahren immer mehr Regulierung aufgebaut. Egal ob Koch, Politiker oder Unirektor - die Menschen müssten sich immer mehr mit bürokratischen Dingen befassen statt mit den Dingen, die sie gelernt hätten - das führe zu Frustration. Das Gebot der Stunde sei es, die Verwaltung zu modernisieren und zu digitalisieren.

Die Genehmigungszeiten für Windparks habe man schon halbiert, sagte Kretschmann. Nach einer neuen Umfrage im Auftrag der baden-württembergischen Zeitungsverlage attestieren jedoch nur vier Prozent aller Befragten der grün-schwarzen Landesregierung Fortschritte im Kampf gegen die Bürokratie.

Der Regierungschef sprach von »Riesenbrettern, die da gebohrt werden müssen«. Er forderte für Wirtschaft und Gesellschaft ein Weniger an Vorschriften und ein Mehr an Verantwortung und Spielraum. »Wir brauchen mehr Vertrauen in die Marktkräfte, in die Bürgergesellschaft, in die Entscheidungskraft und das Verantwortungsbewusstsein von Einzelnen wie Bürgermeistern, Schulleitern oder Unternehmern«, sagte Kretschmann. »Es muss ein Mentalitätswandel stattfinden - hin zum mutigen Nutzen von Spielräumen, weg von der ängstlichen Fehlervermeidungskultur.«

Landesregierung, Kommunen und Wirtschaftsverbände hatten sich erst vor kurzem auf eine Allianz zum Bürokratieabbau geeinigt sowie auf Eckpunkte zur Entschlackung von Vorschriften und Regulierung. Ministerien sollen Vorschläge dazu erarbeiten, wo bürokratische Hürden abgebaut werden sollen.

Im Jahr 2018 hatte die Landesregierung einen Normenkontrollrat als unabhängiges Expertengremium eingesetzt, um die Politik beim Abbau von Bürokratie zu unterstützen. Bis Ende vergangenen Jahres leitete die frühere CDU-Landtagsabgeordnete Gisela Meister-Scheufelen das Gremium. Deren Amtszeit war Ende 2022 nicht verlängert worden, was große Kritik auslöste. Das Staatsministerium kündigte die Neubesetzung des Normenkontrollrats an.

Kretschmann und die Landesregierung sollten endlich die Vorschläge des Normenkontrollrats umsetzen, forderte FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke am Sonntag. »Diese liegen seit langem auf dem Tisch.« Stattdessen würden das Gremium aufgelöst, seine Vorschläge in die Schublade gelegt und eine neue Allianz gegründet. »Diese schlägt wieder das Gleiche vor, und die Vorschläge verschwinden wieder in der Schublade«, monierte Rülke. Erik Schweickert, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bürokratieabbau der FDP-Fraktion, erklärte: »Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Herr Kretschmann hat es selbst in der Hand und muss hier endlich handeln.«

AfD-Fraktionschef Anton Baron schlug in die gleiche Kerbe und bezeichnete Kretschmanns Aussagen als hilfloses Sommerlochtheater: »Erst löst er den Normenkontrollrat auf, der gerade für den Bürokratieabbau eingerichtet wurde und rund 180 Vorschläge unterbreitet hatte. Dann gründet er mit acht Verbänden eine Allianz zum Bürokratieabbau - eine weitere Laberrunde, die «noch in diesem Jahr» Vorschläge liefern soll.« Statt bürokratieabbauende Initiativen der AfD anzunehmen setze Kretschmann »EU-Bürokratiemonster« um.

© dpa-infocom, dpa:230813-99-821385/3