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Kretschmann trifft Betroffene des Radikalenerlasses

Tief enttäuschte Betroffene und ein etwas zerknirschter Ministerpräsident: Mehr als 50 Jahre nach dem Beschluss des Radikalenerlasses hat sich Winfried Kretschmann mit Betroffenen zum Gespräch getroffen. Diesen Menschen sei Ungerechtigkeit widerfahren, »man hat pauschal alle unter einen Generalverdacht gestellt«, sagte der Grüne am Mittwoch nach dem Gespräch im Staatsministerium in Stuttgart.

Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Foto: Marijan Murat

Mit dem Radikalenerlass aus dem Jahr 1972 sollte eine Unterwanderung des Staates verhindert werden. Die Gefahr von Links beunruhigte die damals noch junge Bundesrepublik. Heute ist klar, dass viele auch zu Unrecht verdächtigt wurden. Der Radikalenerlass zerstörte viele Karrieren. Der Beschluss des ersten sozialdemokratischen Kanzlers Willy Brandt und der Ministerpräsidenten der Länder sah unter anderem vor, dass vor jeder Einstellung in den öffentlichen Dienst eine Anfrage beim Verfassungsschutz gestellt werden muss. So sollte der Staatsapparat vor möglichen Verfassungsfeinden geschützt werden.

Bereits im Januar hatte Kretschmann in einem Brief an die zu Unrecht Betroffenen sein Bedauern geäußert - eine Rehabilitierung oder Entschädigung ist aber auch nach dem Gespräch nicht geplant. Für ihn und seine Mitstreiter sei dies eine große Enttäuschung, sagte Andreas Salomon von der Initiative der Betroffenen. Kretschmann sei nicht bereit gewesen, auf die drei Forderungen »nach einer Entschuldigung, nach einer Rehabilitierung und nach der Einrichtung eines Fonds einzugehen«.

Er könne aber nicht pauschal entschädigen, jeder Einzelfall müsse geprüft werden, sagte Kretschmann. »Und dafür gibt es im Rechtsstaat Gerichte, da muss man sich sein Recht erstreiten.« Das sei ein Dilemma. »Denn im Rechtsstaat wird nur Recht gesprochen, da wird nicht Gerechtigkeit gesprochen.« Er könne die Enttäuschung der Betroffenen verstehen.

Der 74-Jährige wäre damals auf dem Weg in den Lehrerberuf als linksextremer Student selbst fast über den Erlass gestolpert. Er habe sich von den Irrtümern klar distanziert, »in einer sehr radikalen Weise«, sagte der Ministerpräsident nun. Er selbst habe aber auch das Glück gehabt, dass er gute Fürsprecher gehabt habe - und deshalb nun nicht auf der anderen Seite des Tisches saß.

© dpa-infocom, dpa:230208-99-523721/3