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Kretschmann reagiert kühl auf Brandbrief

»In großer Sorge um unser Land« ist der Titel des offenen Briefes an den Regierungschef. Absender sind Städte und Gemeinden, Betriebe und Banken. Sie sehen »lähmende Behäbigkeit« im Land. Kretschmann reagiert kühl und spielt den Ball zurück.

Brandbrief an Kretschmann
Ein Stempel mit der Aufschrift »Bürokratie« liegt auf Papieren. Foto: Ralf Hirschberger
Ein Stempel mit der Aufschrift »Bürokratie« liegt auf Papieren.
Foto: Ralf Hirschberger

Mit einem Brandbrief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat ein breites Bündnis aus Kommunen und Wirtschaft den dringenden Abbau von bürokratischen Hürden und staatlichen Vorgaben gefordert. Um die wirtschaftliche Stärke des Landes trotz vieler Krisen zu erhalten, sei ein »grundsätzlicher Reformprozess« notwendig, schreiben die Chefs der Kommunal- und Wirtschaftsverbände in Baden-Württemberg sowie die Präsidenten des Sparkassen- und Genossenschaftsverbands. Sie fordern Kretschmann auf, einen »Zukunftskonvent« einzuberufen, »um einen Wandel hin zu einem modernen Zukunftsstaat mit verlässlichen und umsetzbaren Zusagen« anzustoßen.

Kretschmann sieht hier auch Kommunen selbst in der Pflicht

Im Gegensatz zur CDU reagierte der Grünen-Regierungschef kühl auf das Schreiben. Zwar müsse man »bürokratische Hemmnisse« abbauen, aber für vieles sei das Land der falsche Ansprechpartner. Kretschmann sieht auch die Kommunen selbst in der Pflicht, Bremsen zu lösen, etwa bei Genehmigung von Windrädern. Ansonsten hänge viel an Bund und EU. Den Vorschlag für einen »Zukunftskonvent« nahm er nicht auf, man denke noch über ein geeignetes Format nach. Zudem sei das Land »immer offen für konkrete Vorschläge, wie wir Verfahren vereinfachen und Bürokratie abbauen können«. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel begrüßte dagegen die Idee eines Konvents, das Land brauche ein »Update«. Man müsse sich fragen: »Was kann weg? Was muss bleiben?«

»Zukunftskonvent« soll Abhilfe schaffen

Kommunen und Wirtschaft argumentierten, die »Zeitenwende« im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zwinge das Land dazu, neu zu bestimmen, was vorrangig ist und noch finanziert werden kann. »Die Zeit eines ungebremsten Draufsattelns bei Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen ist vorbei«, heißt es in dem Schreiben. Städte-, Gemeinde- und Landkreistag sowie die Vertreter der Wirtschaft warnen Kretschmann vor einem Weiter-so und empfehlen, den Koalitionsvertrag zur Seite zu legen.

Klage über erzwungene Selbstbeschäftigung

Die Analyse der Verbände der aktuellen Zustände fällt hart aus: »Bei ehrlicher Betrachtung beschäftigen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft viel zu oft mit sich selbst.« Als Beispiele nennen sie die vielfältigen Anforderungen des Datenschutzes, fehlende Effizienz der Klimaschutzmaßnahmen, überbordende Regelungen beim Bauen, das komplizierte Vergaberecht oder die Auflagen für kleine und mittlere Banken. »Die Folge sind lähmende Behäbigkeit und ein empfundener Stillstand.« Um dies zu überwinden, müssten rechtliche Rahmenbedingungen flexibilisiert, staatliche Standards gesenkt und bürokratische Hürden abgebaut werden.

DGB hält dagegen: »Alte Platte vom schlanken Staat«

Kai Burmeister, Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), kritisierte den Brief. »Laute Rufe nach Bürokratieabbau und Standardabsenkungen sind in der aktuellen Situation nicht hilfreich.« Das Land müsse seine finanziellen Handlungsspielräume voll ausschöpfen, Beschäftigte und Betriebe bräuchten Sicherheit. Der DGB sei bereit, an neuen Zukunftskonzepten mitzuarbeiten. »Für neue Formate sind wir offen, überflüssig wäre hingegen das erneute Abspielen der alten Platte vom schlanken Staat.«

Die Initiative geht auf den Präsidenten des Gemeindetags, Steffen Jäger, zurück, der schon im April erklärte hatte, angesichts der Krisen müsse es neue politische Prioritäten geben. An dem Brief beteiligte sich nun neben Jäger und Walter auch Städtetagschef Peter Kurz. Außerdem mit dabei: Christian Erbe, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), Rainer Dulger vom Verband Unternehmer Baden-Württemberg, Rainer Reichhold vom Handwerk sowie Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbandes, und Roman Glaser vom Genossenschaftsverband. Sie verweisen darauf, dass sie die 1101 Städte und Gemeinden, 35 Landkreise sowie die etwa 800.000 Betriebe, 50 Sparkassen und rund 140 Volksbanken und Raiffeisenbanken vertreten.

CDU sieht Deutschland vom »Wohlstand betäubt«

CDU-Fraktionschef Hagel versprach, man werde tatkräftig mit anpacken. »Wir haben in den letzten Jahren engagierte Debatten um Nachrangiges wie die Einführung eines Veggie Days geführt. Deutschland war wie vom Wohlstand betäubt.« SPD-Partei- und Fraktionschefs Andreas Stoch sieht sich durch den Brief bestätigt und sprach von einer »völlig unangemessenen Behäbigkeit« der grün-schwarzen Regierung. »Wer jetzt nicht die Hände aus den Taschen kriegt, verspielt wertvolle Zeit und Zukunftschancen für das Land.« Die FDP stieß in das gleiche Horn. Grün-Schwarz zeige »Ermüdung, wo Taten gefragt sind«, monierte der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke. Sein Kollege Niko Reith sagte, der Brief spreche ihm »aus der Seele«.

Die AfD ist anderer Meinung. "Was in diesem "Brandbrief" fehlt, ist eindeutig der "Brand", sagte Fraktionschef Bernd Gögel. "Es steckt in diesem Briefchen mehr Falsches als Richtiges. Bei Bürokratieabbau und der Erleichterung von Bauvorschriften können wir noch zustimmen. Aber die Forderung nach einem zusätzlichen Gremium, um diese Dinge anzugehen, ist einfach Quatsch." Man könne nicht für jedes Problem im Land einen Stuhlkreis bilden.

Offener Brief im Wortlaut

© dpa-infocom, dpa:221028-99-299213/3