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Kretschmann besorgt über »Entkirchlichung«

Immer weniger Menschen gehen in die Kirche und beten, immer mehr Menschen treten aus. Ministerpräsident Kretschmann warnt vor den gesellschaftlichen Folgen - und verteidigt staatliche Zahlungen an die Kirchen.

Kruzifix
Ein Kruzifix erscheint vor dunklen Wolken. Foto: Marijan Murat
Ein Kruzifix erscheint vor dunklen Wolken.
Foto: Marijan Murat

Regierungschef Winfried Kretschmann hat sich tief besorgt gezeigt angesichts der stark fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft. »Wir haben einen dramatischen Prozess der Entkirchlichung, das besorgt mich sowohl als Christ als auch als Ministerpräsident«, sagte der Grünen-Politiker, der bekennender Katholik und Kirchenbeauftragter der Landesregierung ist, am Dienstag in Stuttgart. Missbrauchsskandale hätten zu einem regelrechten »Absturz der Glaubwürdigkeit« der Kirche geführt. In Baden-Württemberg seien die Christen jedoch noch in der deutlichen Mehrheit.

Und: »Es gibt sowas wie eine negative Ökumene, dass die eine Kirche mit ihrem Fehlverhalten die andere mit runterzieht.« Als Ministerpräsident besorge ihn zudem die Säkularisierung, weil die ganze Kultur christlich geprägt sei und Christen »für eine gute soziale Temperatur« im Land sorgten und vielfach engagiert seien. Wenn man sich aber umschaue in der Kirchengemeinde um die Ecke, gebe es gar keinen Grund, aus der Kirche auszutreten, sagte Kretschmann. Die Kirche erhalte auch die Denkmäler der Kultur lebendig.

Gefragt nach einer Abschaffung der jährlichen Entschädigungszahlungen des Staates an die beiden großen christlichen Kirchen äußerte Kretschmann Zweifel, dass dies finanzierbar und machbar sei. Die beiden großen Kirchen bekommen vom Staat jährliche Gelder als Gegenleistung für die Enteignung deutscher Kirchen und Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts. Außer Hamburg und Bremen zahlen deshalb alle Bundesländer eine jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche, zuletzt insgesamt rund 550 Millionen Euro pro Jahr.

Schon in der Weimarer Verfassung war vorgesehen, die dauerhaften Zahlungen durch eine einmalige Summe abzulösen - dieses Vorhaben wurde in das Grundgesetz übernommen, aber bis heute nicht in die Tat umgesetzt. Aktuell liefen dazu intensive Gespräche des Bundesinnenministeriums mit Ländern und Kirchen, hieß es zuletzt von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Kretschmann sagte dazu, er habe schon mit den Bischöfen des Landes gesprochen. Die Vorstellungen über Höhe der Ablösesummen seien sehr unterschiedlich - die Zahlen, die er gehört habe, seien haushaltsmäßig im Moment nicht zu leisten, sagte Kretschmann. Erstmal müsse nun der Bund Grundsätze aufstellen. »Aber wenn er Grundsätze aufstellt, die wir nicht bezahlen können, wird das Projekt nicht zustande kommen.«

Die Kirchen hätten einen rechtlichen Anspruch auf diese Staatsleistungen. Die Staatsleistungen für die Kirchen seien zudem »sehr, sehr gut angelegtes Geld«. Kretschmann räumte aber ein, dass es andererseits den Menschen schwer zu erklären sei, dass der Staat mehr als 200 Jahre nach der Säkularisation immer noch praktisch Zinsen zahlen für Enteignungen.

© dpa-infocom, dpa:230110-99-167300/6