TÜBINGEN. Almen in den Alpen, Streuobstwiesen am Albtrauf: Menschen gestalten Landschaft. Landschaftsbilder wiederum lösen Gefühle aus und beeinflussen, was Menschen als Heimaten erleben. Das zeigt sich auch bei Fotovoltaikanlagen und Windparks, die den Blick nach draußen verändern. Auch um Rottenburg und im Rammert sollen Windräder gebaut werden. Die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Karin Bürkert hat mit Studierenden erforscht, wie die Energiewende im Neckartal aufgenommen wird, und mit Gegnern und Befürwortern geplanter Windkraftanlagen ge-sprochen.
GEA: Frau Bürkert, warum ärgert es manche Menschen, wenn bei ihrem Wohnort ein Windpark in den Wald gebaut werden soll?
Karin Bürkert: Die Argumente sind natürlich vielfältig. Das Thema Landschaft und Heimat ist aber emotional stark aufgeladen. Die Energiewende gestaltet unsere Landschaft, sie wird danach anders aussehen. Für viele Menschen verändert sich das, womit sie aufgewachsen sind: ein Landschaftsbild, das sie gewohnt sind, das ihrer Meinung nach zum Wohlfühlen beiträgt. Ändert sich der Anblick, fürchten Menschen, sich an ihrem Zuhause weniger wohl zu fühlen. Heimat gilt oft als Ort, an dem man sich orientieren kann und auskennt. Landschaft spielt dabei eine große Rolle.
Also soll Landschaft am Wohnort das Gefühl des Gewohnten geben?
Bürkert: Es geht um eine Mischung aus Gewohnheit und sich wohlfühlen, auch ästhetisch. Man möchte die Landschaft schön finden. Wichtig ist auch der Aspekt der Sicherheit. Wenn Menschen sich in ihrer näheren Umgebung mit neuen Infrastrukturen konfrontiert sehen, kann das stark verunsichern. Manche Menschen empfinden zum Beispiel Windräder als etwas Bedrohliches, das sie in seiner Wirkung auf ihren Alltag nicht einschätzen können. Was, wenn der Infraschall der Windräder – entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse – doch gesundheitsschädigend ist? Wenn ich deswegen nicht mehr schlafen kann? Ist das Sicherheitsempfinden bedroht, wird Veränderung als negativ betrachtet.
Rührt dieses Bedrohungsgefühl auch daher, dass hinter »Landschaft« häufig die Vorstellung einer idealen, unberührten Natur steht?
Bürkert: In Debatten um Windkraftanlagen ist den Beteiligten meist bewusst, dass es sich bei unseren Landschaften um Kulturlandschaften handelt und der Mensch hier schon stark eingewirkt hat – zum Beispiel in Form von Äckern oder Weinbergen. Dieses Eingreifen wird teils aber positiv bewertet, weil etwa Wein als kulturelles Produkt sehr wertgeschätzt und mit der Identität von Baden-Württemberg verknüpft ist. Mitunter wird diese Kulturlandschaft aber auch als unveränderlich verstanden. Nach dem Motto: Diese Landschaft ist doch typisch für unsere Region. So sah es hier schon immer aus und so soll es bleiben.
So positiv haben die Menschen Landschaft aber nicht immer erlebt.
Bürkert: Es ist ein Paradox: Landschaft, wie wir sie kennen, ist mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Davor sah es hier völlig anders aus. Großteile unserer Wälder gab es zuvor nicht oder nur in ganz anderer Form. Und zur heutigen Landwirtschaft gehören nicht nur idyllische Bauernhöfe, sondern auch schnurgerade Striche auf dem Erdboden, mit Monokulturen bepflanzte Vierecke, Flurbereinigung, die Industrialisierung der Tierhaltung mit riesigen Ställen. Umgekehrt können wir erst seit der Moderne Landschaft überhaupt wertschätzen oder als Touristen erleben. Denn die Moderne hat Wohlstand hervorgebracht und Acht-Stunden-Tage, an denen Arbeit und Privatleben getrennt stattfinden und es so etwas wie Freizeit gibt. Davor war Landschaft im besten Fall Nutzraum, im schlechtesten etwas Gefährliches, wo man erfrieren oder sich verlaufen konnte. Die Industrialisierung hat zur Zähmung und Zivilisierung von Landschaft geführt und ein romantisches Bild davon ermöglicht. Windenergieanlagen sind nur ein Baustein eines langen Veränderungsprozesses unserer Umgebung. Diese kulturhistorische Ebene wäre in der Debatte sicher wichtig.
Warum wird sie teils ausgeblendet?
Bürkert: Das ist eine Frage der Gewohnheit. Wir haben uns schon an vieles gewöhnt. Straßen beispielsweise haben die Landschaft massiv geprägt und verändert, teils bis in die Berge hinein zerschnitten. Heute erscheinen sie uns als völlig normal und als Vehikel, um Landschaft buchstäblich erfahren und genießen zu können.
Warum fällt die Vorstellung schwer, sich an Windräder zu gewöhnen?
Bürkert: Windräder ragen in die Höhe, sind raumgreifend, von weit her sichtbar. Sie bilden in den Augen mancher Fremdkörper im Landschaftsbild. Andere finden sie aber genau deshalb auch wieder schön. Und sie werden in ländlich geprägten Gebieten gebaut, nicht in der Nähe von Städten. Dort akzeptiert man eine gewisse Industrialisierung und Fabriken mit hohen Schlöten noch eher. Veränderung, die vorher an die Stadt gekoppelt war, findet jetzt auf dem Land statt.
Was prägt unsere Gefühle, die wir mit Landschaft verbinden?
Bürkert: Unsere Erfahrung und Bildwelten, die uns umgeben. Neben tatsächlichen Naturerlebnissen sind das auch Bilder, die wir gezeigt bekommen, etwa über Medien, Museen und andere Institutionen.
»Die Industrialisierung hat zur Zähmung von Landschaft geführt«
Inwiefern spielt es bei der Beurteilung von Windenergie eine Rolle, ob jemand auf einem Bauernhof oder in Stuttgart aufwächst?
Bürkert: Ich komme selber aus einer landwirtschaftlich geprägten Familie. Die hat einen ganz stark pragmatischen Zugang zu Landschaft: Das ist Nutzraum. Wer also den Nutzen darin sieht, Energie auf dem Land zu produzieren, wird das leichter akzeptieren als Stadtmenschen, die möglicherweise ein verklärtes Bild vom Land haben. Demgegenüber steht das Phänomen »not in my backyard« (»Nicht in meiner Nachbarschaft«): Da findet man Windkraft eigentlich unproblematisch, aber bitte nicht vor dem eigenen Haus oder in der eigenen Heimat.
Wovon hängt noch ab, wie Menschen landschaftlichen Veränderungen gegenübertreten?
Bürkert: Wichtig ist, ob die Menschen sich mitgenommen fühlen. Häufig fühlen sie sich überfahren. Zwar gibt es Infoveranstaltungen zu geplanten Windparks, aber zuvor erfahren die Leute scheinbar nichts von den Plänen und haben dann ein Ohnmachtsgefühl. Und das Gefühl, in der eigenen Heimat übergangen zu werden, bringt Menschen auf, verunsichert, macht sauer.
Kann man Windräder mögen lernen?
Bürkert: Es wäre interessant zu erforschen, wie der Gewöhnungseffekt in Gegenden, wo welche gebaut wurden und es auch Widerstände gab, in 20 Jahren ist. Aber es ist auf jeden Fall auf der anderen Seite wichtig, eine Debattenkultur zu pflegen, die die Menschen nicht in einem Ohnmachtsgefühl zurücklässt, übergangen worden zu sein.
ZUR PERSON
Karin Bürkert, Jahrgang 1981, ist auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Hohenlohe aufgewachsen. Inzwischen ist sie Akademische Oberrätin am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen und untersucht, welche Rolle Landschaft für das Heimatempfinden spielt – aktuell am Beispiel der Energiewende in ländlichen Räumen. Sie hat mit Studierenden erforscht, was der Atomausstieg und die Abschaltung des Kernkraftwerks Neckarwestheim oder die Planung von Windparks um Tübingen für Anwohner bedeuten. Bürkert lebt mit ihrer Familie in Unterjesingen. (kal)
Mutmaßlich finden Menschen trotz der Einsicht in den Nutzen eines Windparks einen Bergrücken ohne Wind-räder schöner als einen mit.
Bürkert: Tendenziell gewöhnt man sich an so einen Anblick leichter, wenn man direkt profitiert. In Neckarwestheim, wo ich bisher geforscht habe, blickt man beispielsweise neben einem hübschen Schloss auf das Atomkraftwerk. Da sagten mir die Leute, sie hätten sich mit dem Anblick abgefunden, sich daran gewöhnt. Manche finden es sogar schön, auch weil das Kraftwerk während seiner Laufzeit der Gemeinde spürbaren Wohlstand brachte. Spürbarer Nutzen ist für die Menschen wichtig, um Veränderungen zu akzeptieren. Letztlich haben wir die ganzen Veränderungen der Moderne akzeptiert, weil es uns damit zunächst besser und besser gegangen ist.
Bei Windrädern profitieren Anwohner allerdings nicht so rasch und direkt.
Bürkert: Es gibt durchaus direkten Nutzen durch Steuereinnahmen für die Gemeinde. Und alle profitieren natürlich von den Windrädern, indem wir Strom kriegen – aber den bekämen wir auch von einem Atom- oder Kohlekraftwerk. Windräder entstehen, weil wir Gefahr laufen uns kaputt zu machen mit der Art und Weise, wie wir bisher Energie produziert haben. Das ist kein individueller Profit, sondern ein ideeller. Der Einzelne kann sich erstmal dafür nichts kaufen.
Also müssen wir neue Gefühle in Bezug auf Landschaft lernen?
Bürkert: Man muss sich deren ständige Veränderung zumindest bewusst machen und sie vielleicht auch umdeuten. Die Politik versucht es ja so als Schritt in eine nachhaltige Zukunft. Vielleicht spüren wir persönlich nicht mehr den nachhaltigen Nutzen von Windrädern, dafür unsere Enkel. Und das verändert dann vielleicht auch die Sicht auf die Landschaft mit den Windparks. So ein Antizipieren in die Zukunft haben wir allerdings in Bezug auf Landschaft noch nicht so gelernt. Bei Landschaft denken wir eher zurück: Wie hat sich’s verändert? Und nicht: Wie wird’s? (GEA)