Für Bundesliga-Shootingstar Paul Wanner könnte es bei diesem Auftritt der U21 gleich doppelten Grund zur Freude geben. Der 18 Jahre alte Heidenheimer steht vor seinem Debüt in der wichtigsten Nachwuchsnationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes - und bei einem Sieg am Freitag (18.00 Uhr/ProSieben Maxx) in Regensburg gegen Bulgarien könnte er gleich den Gruppensieg und das EM-Ticket des Teams mit bejubeln. Unwillkürlich rückt aber auch eine sehr persönliche Frage in den Fokus. Für welche Nation wird der Leihspieler des FC Bayern künftig auflaufen: Deutschland oder doch Österreich?
Vor den entscheidenden EM-Qualifikationspartien gegen Bulgarien und vier Tage später in Polen spielen solche Überlegungen für U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo keine Rolle. »Natürlich sind wir im Austausch. Aber für mich steht das, was aktuell vorzufinden ist: Dass er für Deutschland spielt, dass er sich entschieden hat, zu uns zu kommen«, sagte Di Salvo. »Für mich ist das ein Zeichen, wenn er weiter für Deutschland spielen will.«
Nagelsmann stellte seine Haltung bereits klar
Die oftmals emotionale Entscheidung, in welcher Nationalmannschaft ein Jung-Profi seine Zukunft sieht, ist in den Multi-Kulti-Teams des DFB fast automatisch ein Thema. »Ich finde es legitim und notwendig, dass der DFB sich um Talente bemüht, die auch für andere Nationen spielen können. Aber ich bin kein Trainer, der Spieler nominiert oder reinredet, für welches Land sie spielen sollen«, stellte Bundestrainer Julian Nagelsmann seine Haltung in dieser Frage vor einiger Zeit klar. »Das ist für mich ein sehr persönliches Thema, was die Familien angeht, was die Spieler angeht, zu welchem Land sie sich zugehörig fühlen.«
Bayerns Aufsteiger Aleksandar Pavlovic traf in diesem Jahr final die »Herzensentscheidung« für Deutschland und nicht für Serbien. Für den Stuttgarter Deniz Undav aus dem aktuellen Nagelsmann-Kader war Deutschland »klar Option A«, zu der Türkei habe er »sehr wenig Bindung«, wie er einmal erklärte. Club-Kollege Jamie Leweling, der auch für Ghana auflaufen könnte, beschäftigte sich »viel« mit der Frage. Auf eine »Lösung« kam er lange nicht. Jetzt scheint sie gefunden.
Rangnick wirbt weiter
Wanner wurde in Österreich geboren, wuchs größtenteils in Deutschland auf. Seine Mutter ist Österreicherin, sein Vater Deutscher. Der Offensivspieler hatte wiederholt gesagt, dass er bei der Nationalmannschaftszukunft nichts überstürzen will. »Am liebsten würde ich ein Jahr Bundesliga spielen und dann schauen, wo ich mich eher sehe«, sagte der erst 18-Jährige. »Ich möchte die Entscheidung zu hundert Prozent richtig treffen. Das kann in zwei Monaten sein oder am Ende der Saison.« Er möge beide Länder sehr und wolle auch auf sein Herz hören.
Nicht nur DFB-Vertreter, sondern auch Österreichs Nationalcoach Ralf Rangnick stehen mit Wanner nach eigener Auskunft im Austausch. »Auch wenn er jetzt zur deutschen U 21 eingeladen wurde, hat das zunächst gar keine Aussagekraft. Entscheidend wird es, wenn er sich entscheiden will oder muss, in welcher A-Nationalmannschaft er spielt«, sagte der ÖFB-Teamchef. »Am Ende ist es eine Frage, wo er für die nächsten Turniere größere Chancen sieht, regelmäßig zum Einsatz zu kommen.«
Herzensentscheidung und Karrierefragen
Neben der Herzensentscheidung geht es auch darum, wo die Talente bessere Karrierechancen sehen. Wo spiele ich öfter? Wo kann ich vielleicht sogar Titel gewinnen? Was hilft mir für meine Karriere? So oder ähnlich könnten Fragen lauten, die die Fußballer mit sich selbst, ihren Familien und Beratern ausmachen.
»Wir versuchen schon, eine Bindung herzustellen zu den Spielern, den Familien, den Beratern, zum Umfeld und versuchen sie davon zu überzeugen, dass der Weg mit Deutschland zu gehen, der richtige ist«, sagte Di Salvo über den grundsätzlichen Umgang. »Wir setzen natürlich alles daran, ihnen ganz fair und neutral, die aktuellen Wege aufzuzeigen. Es wäre falsch, ihnen irgendetwas vom Mond zu erzählen. Es muss realistisch sein.« Die absoluten Spitzenkräfte, allen voran der einst auch von England umworbene Bayern-Star Jamal Musiala, entschieden sich zuletzt für Deutschland.
Heidenheim-Coach Schmidt erstaunt
Wanner, der für die deutsche U17, U18 und U20 auflief, ist erst einmal auf den Sprung in die nächste Altersklasse konzentriert. Nachdem der bis 2027 an den FC Bayern gebundene Wanner im September auf eine U21-Teilnahme verzichtet hatte, weil er seinem Körper eine Pause gönnen wollte, ist er diesmal für Einsätze bereit. »Wir reden immer noch über einen sehr jungen Burschen«, sagte Di Salvo. »Jetzt fühlt er sich gut. Er hat gute Leistungen gezeigt und wir konnten ihn mit einer Nominierung für die U21 belohnen.«
Sollte die Nachwuchsauswahl gegen Bulgarien gewinnen, wäre der Gruppensieg perfekt. Andernfalls könnte es auf ein heißes Gruppen-Finale am Dienstag in Polen hinauslaufen. Die EM-Endrunde findet im Sommer 2025 in der Slowakei statt.
Die U21-Europameisterschaft wäre sicher auch für Wanner eine reizvolle Herausforderung auf einem Weg, den auch Bayern-Sportdirektor Christoph Freund »weiter eng« begleiten will. Wanners aktueller Trainer Frank Schmidt imponiert die Entwicklung bislang. »Mit 18 Jahren ist er sehr weit. Ich glaube, da gibt es wenige Spieler, die mit 18 Jahren schon so einen klaren Fokus auf die Herangehensweise, auf die eigene Leistung haben«, sagte Schmidt.
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