LUDWIGSBURG. Der baden-württembergische Koordinator für die intensivmedizinische Versorgung von Covid-Patienten fordert einen harten Lockdown, um den Druck auf die Kliniken zu vermindern. »Die Entwicklung ist besorgniserregend, weil wir Ende April voraussichtlich eine Belegung der Intensivbetten mit Covid-Erkrankten von 40 Prozent erreichen«, sagte Götz Geldner, Ärtzlicher Direktor der Ludwigsburger RKH-Kliniken, der Deutschen Presse-Agentur. Jetzt kämen die »Osteropfer«, Patienten, die sich bei Treffen über die Feiertage angesteckt haben. Angesichts von Personalengpässen regte er eine leistungsgerechtere Bezahlung von Pflegekräften an.
Etwa ein Drittel der Intensivbetten sei mit Covid-Patienten belegt. Die derzeit größte Gruppe, Menschen zwischen 45 und 65 Jahren, verweile auch länger auf den Stationen als die jüngere Altersgruppe. Deshalb werde es eng für andere Intensivpatienten und Notfälle, die um die 60 Prozent der Kapazitäten brauchten. Derzeit sei das Versorgungsniveau für die Patienten aber noch auf hohem Stand.
An härteren Maßnahmen zur Eindämmen der Infektionen werde man nicht vorbeikommen, betonte der Intensivmediziner. Dabei sollten die Einschnitte nicht mehr mit der Lage der Intensivversorgung begründet werden. »Das ist die schlimmste Folge der Pandemie - wir dürfen nicht warten, bis diese eintritt.« Aussagekräftig sei auch der R-Wert, der angibt, wie viele andere Menschen ein Infizierter ansteckt. Liegt er längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab. Als Beispiel für einen erfolgreichen Shutdown nannte er unter anderem Portugal mit den im Januar bezogen auf die Bevölkerungszahl zeitweilig höchsten Infektionszahlen weltweit; das Land hatte mit einer 24-Stunden-Ausgangssperre, allgemeiner Maskenpflicht und einer weitgehenden Homeoffice-Verpflichtung der Arbeitgeber die Lage in den Griff bekommen.
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert die Politik auf, die Maßnahmen nicht länger mit den Intensivbetten zu begründen. Diese seien kein geeigneter Indikator, da sich die Infektionszahlen erst nach mehreren Wochen in deren Belegung niederschlagen. Aus Sicht von Verdi besagt ein 85-Prozent-Belegung nicht, dass noch 15 Prozent der Betten mit optimaler Therapiemöglichkeit bereitstehen. Immer häufiger fehle qualifiziertes und erfahrenes Personal - besonders im intensivmedizinischen Bereich. Nach Daten des Divi-Intensivregisters sind von den rund 2417 betreibbaren Intensivbetten im Land rund 88,6 Prozent belegt.
Verdi-Gesundheitsexpertin Irene Gölz sieht das Klinikpersonal mit dem Rücken zur Wand. »Wir müssen jetzt so steuern, dass die Beschäftigten uns noch helfen können, wenn wir als Notfall in die Klinik eingeliefert werden.« Durch die Mutante habe sich die Situation auf den Stationen nochmals verschärft: »Jeder zweite beatmete Patient überlebt die Krankheit nicht.« Mehr als jeder zweite der rund 500 Intensivpatienten im Land wird laut Landesgesundheitsamt beatmet. Die Zahl der Beatmungsplätze ist laut Geldner je nach Klinik bis zu 92 Prozent ausgeschöpft.
Zwischen dem 1. und dem 11. April sind laut Koordinator Geldner 57 Patienten in Baden-Württemberg von einem Krankenhaus in ein anderes verlegt worden, zum einen wegen fehlender Plätze, zum anderen wegen der größeren Fachkompetenz und Ausstattung in einem anderen Haus.
Auch der Ludwigsburger Mediziner sieht den Hauptgrund für begrenzte Kapazitäten im Personal. Einerseits geben viele Pflegekräfte wegen der Belastung durch die Versorgung der schweren Covid-Fälle auf, andere gehen in die Zeitarbeit, weil dort höhere Gehälter als im öffentlichen Dienst bezahlt werden, wie Geldner im eigenen Haus erfahren musste. Er sprach sich für eine Bezahlung der Pflegekräfte aus, die die Versorgung Schwerstkranker honoriert. (dpa)