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Inspekteur der Polizei soll vor Gericht: Anklage erhoben

Es geht um Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung bei der Polizei und auch um die Personalie Strobl - denn im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen den Inspekteur der Polizei wackelte der Posten des Innenministers. Nun soll der suspendierte Inspekteur vor Gericht.

Justitia
Blick auf die Justitia über dem Eingang eines Landgerichts. Foto: Hendrik Schmidt
Blick auf die Justitia über dem Eingang eines Landgerichts.
Foto: Hendrik Schmidt

Es ist der mutmaßliche Skandal zur Affäre: Erst wurden die schweren Vorwürfe gegen den ranghöchsten Polizisten des Landes laut. Dann entwickelte sich daraus auch eine Affäre, die den Posten von Innenminister Thomas Strobl (CDU) bedenklich wackeln ließ und die Opposition auf den Plan rief. Es folgten Untersuchungsausschuss und Rücktrittsforderungen. Nun hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft im mutmaßlichen Sex-Skandal gegen den obersten Polizisten des Landes das nächste Kapitel aufgeschlagen und Anklage erhoben gegen Inspekteur der Polizei in Baden-Württemberg, den obersten Beamten in Blau.

Ihm wird ein Vergehen der sexuellen Nötigung zur Last gelegt, wie die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mitteilte. Der Inspekteur soll nach dpa-Informationen eine Hauptkommissarin in einem Videochat mit seinen Vorstellungen sexueller Praktiken belästigt haben - im Gegenzug zu Karrierevorteilen. Der Inspekteur bestreitet den Vorwurf. Er ist der höchstrangige Polizeibeamte des Landes und wegen der Vorwürfe vom Dienst suspendiert. Strobls Sprecher sagte, gegen den Inspekteur der Polizei sei ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgesprochen worden, dieses Verbot gelte weiterhin.

Nach Angaben seines Anwalts strebt er einen Freispruch vor Gericht an. »Mein Mandant wird sich in der anstehenden Hauptverhandlung nun konsequent im Hinblick auf einen Freispruch verteidigen«, ließ der Waiblinger Rechtsanwalt Jens Rabe auf Anfrage mitteilen. Es sei bedauerlich, dass die Staatsanwaltschaft »bei dieser Beweissituation« überhaupt Anklage erhoben habe.

Die Staatsanwaltschaft stellt die Lage anders da. Sie wirft dem Inspekteur vor, »bewusst ausgenutzt zu haben, dass er aufgrund seiner beruflichen Stellung in der Lage war, der Polizeibeamtin im Falle des Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten«. Ein Sprecher des Landgerichts sagte der dpa auf Anfrage, nach Zustellung der Anklage und dem Ablauf einer Frist zur Stellungnahme von zwischen zwei und drei Wochen werde über ein Hauptverfahren entschieden. »Erst danach wird dann auch entschieden, wann das Verfahren verhandelt wird«, sagte er.

Gegen den Beamten gibt es inzwischen ein weiteres Ermittlungsverfahren. Es werde wegen Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses gegen ihn ermittelt, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft einen Bericht der »Stuttgarter Nachrichten« (Donnerstag). Nähere Details waren zunächst nicht bekannt.

Auch Innenminister Strobl steht wegen der Sache seit längerem unter Druck - er hatte nach eigenen Angaben ein Schreiben des Anwalts des Inspekteurs an einen Journalisten weitergereicht. Strobl will aber nach eigener Aussage eine Geldauflage zahlen, um ein Ermittlungsverfahren gegen seine Person zu beenden. Die Opposition fordert seinen Rücktritt. Allerdings hat die grün-schwarze Koalition im Südwesten die Reihen hinter dem Minister geschlossen und einen Entlassungsantrag gegen den CDU-Landesvorsitzenden abgelehnt. Zudem beleuchtet ein Untersuchungsausschuss derzeit sexuelle Belästigung bei der Polizei ebenso wie die Beförderungspraxis und die Handlungen Strobls.

Die SPD wirft dem Innenminister vor, den Inspekteur zu schnell ins Amt befördert zu haben. »Die Turbo-Beförderung bis an die Spitze der Landespolizei erscheint nun noch einmal vor einem ganz anderen Licht«, sagte der baden-württembergische SPD-Innenpolitiker Sascha Binder. Respekt zollte er der Frau, die die Vorwürfe gegen ihren Vorgesetzten erhoben hatte. »Ohne ihren Mut wäre das alles nie herausgekommen«, sagte Binder. Die FDP schloss sich dem an. Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Hans-Ulrich Rülke, sagte, es müsse geklärt werden, welche Rolle Minister Strobl bei der Blitzkarriere des Inspekteurs gespielt habe. Der CDU-Politiker trage die Verantwortung dafür, dass der Mann »so kometenhaft« in der Landespolizei aufgestiegen sei.

Dagegen zeigten sich die beiden Gewerkschaften der baden-württembergischen Polizei erleichtert über die erhobene Anklage. Es gelte die Unschuldsvermutung auch in diesem Fall, betonte der Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Gundram Lottmann. »Aber es ist gut und wichtig, wenn hier Klarheit herrscht und man das lange Verfahren auch mal abschließen kann.« Aus Sicht der Deutschen Polizei Gewerkschaft (DPolG) belasten Skandal und Affäre die Polizei deutlich. »Da hätte ich mir gewünscht, dass die Vorwürfe schneller aufgearbeitet worden wären«, sagte der Landeschef Ralf Kusterer.

Als Folge der Vorwürfe wegen sexueller Belästigung in der Landespolizei war Anfang des Jahres auch eine neue Anlaufstelle für Betroffene eingerichtet worden. Sie soll ein niederschwellig erreichbares Hilfsangebot für alle Beschäftigten der Polizei in Baden-Württemberg bieten, die sich mit sexueller Gewalt oder sexueller Belästigung konfrontiert sehen, hatte die GdP damals mitgeteilt. Die Anlaufstelle war zusammen mit der Bürgerbeauftragten des Landes ins Leben gerufen worden. Allerdings habe sich bislang niemand an die Anlaufstelle gewandt, sagte der GdP-Vorsitzende Lottmann der dpa.

Nach Angaben des Innenministeriums gab es in den vergangenen drei Jahren bei den Behörden und Stellen der Landesverwaltung 230 Eingaben im Zusammenhang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, davon 76 durch Vorgesetzte. In 58 Fällen wurden Strafverfahren eingeleitet. Von diesen wurden 23 eingestellt. Eines wurde mit einer Verurteilung beendet. Die restlichen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus wurde in 55 Fällen ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Daraus folgten als disziplinarische Konsequenzen unter anderem zwei Verweise, sechs Geldbußen, vier Kürzungen der Bezüge und eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

© dpa-infocom, dpa:221102-99-352789/7