Baden-Württemberg hat auch weiterhin keine Aussicht, den Bedarf an Kita-Plätzen trotz eines massiven Ausbaus in den vergangenen Jahren zu decken. Damit unterläuft das Land in vielen Teilen des Südwestens den Rechtsanspruch der Eltern auf eine Betreuung. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen zwischen Mannheim und dem Bodensee fast 60.000 Kita-Plätze. Seit 2013 gibt es allerdings einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Seither muss eigentlich jedem Kind ab dem ersten Lebensjahr ein entsprechender Platz zur Verfügung gestellt werden.
Um die Bedarfe der Eltern zu decken, bräuchte es nach der Erhebung im »Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme« 59.400 zusätzliche Kita-Plätze allein im Südwesten, teilte die Stiftung mit Sitz in Gütersloh mit. »Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Baden-Württemberg aktuell ihren Bildungsauftrag noch nicht für alle Kinder erfüllen können«, sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann-Stiftung.
Besonders große Lücke bei den ganz Kleinen
Besonders groß ist die Lücke der Studie zufolge im U3-Bereich. Die Quote der Kinder unter drei Jahren, die in einer Kita betreut werden, liegt bei fast 30 Prozent. 45 Prozent der Eltern wünschten sich aber eine Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind in dieser Altersgruppe. Bei den über Dreijährigen gehen 93 Prozent der Kinder in einen Kindergarten, allerdings geben 96 Prozent der Eltern einen Betreuungsbedarf an.
Aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann muss die Schaffung weiterer Plätze Priorität haben. »Weil das ist nicht nur für die Kinder von großer Bedeutung, sondern auch für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt«, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Neben der frühkindlichen Bildung seien Kitas auch wichtig für Eltern, die arbeiten wollten. Zuständig seien dafür aber die Kommunen, das Land unterstütze so gut es könne.
Auch Tausende Fachkräfte fehlen
Um die Nachfrage nach Kita-Plätzen erfüllen zu können, bräuchte es nach Berechnungen der Stiftung bis ins Jahr 2025 zusätzlich 14.800 Fachkräfte. Wo diese herkommen sollen, ist unklar: Kommunen beklagen seit langem, dass der Markt für Fachkräfte völlig leer gefegt sei. Aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung müssen deswegen die vorhandenen Fachkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben entlastet werden. Zudem halten die Experten die Gewinnung von Quereinsteigern für wichtig. Das setze man bereits um, teilte das Kultusministerium mit. Zudem arbeite man am Ausbau der Ausbildungskapazitäten.
Die Gemeinden im Land bitten um Geduld. »Die eingeleiteten Maßnahmen benötigen Zeit, um zu wirken und sie finden angesichts des allgemein bestehenden Fachkräftemangels in einem ohnehin knappen Markt statt«, sagte der Präsident des Gemeindetages, Steffen Jäger. Es werde noch viele Jahre dauern, bis die Lücke geschlossen werden könne. Bis dahin brauche es flexible Regelungen bei Mindestpersonalschlüsseln und Höchstgruppenstärken.
Kürzere Öffnungszeiten für mehr Plätze?
Eine Lösung wäre aus Sicht der Stiftung eine Kürzung der Öffnungszeiten. Würden diese auf sechs Stunden pro Tag verkürzt, könnte Baden-Württemberg bis 2025 die Platz-Bedarfe aller Eltern erfüllen. Zugleich könnten auch die guten Personalschlüssel gehalten werden. Bei diesen steht das Land sehr gut da. In keinem anderen Bundesland ist laut Bertelsmann-Stiftung das Verhältnis von Fachkraft zu Kindern besser als im Südwesten: In Krippengruppen ist eine Fachkraft rechnerisch für 2,9 Kinder zuständig. In Kindergartengruppen kommen auf eine Fachkraft 6,4 Kinder. Auch hier ist Baden-Württemberg bundesweit Spitze und liegt noch unter dem von der Stiftung empfohlenen Personalschlüssel von 1 zu 7,5.
Aus Sicht der Unternehmen im Land ist eine Kürzung der Öffnungszeiten keine sinnvolle Idee. »Dies würde dem Betreuungsbedarf vieler Eltern nicht gerecht werden und wäre sicherlich kein Beitrag zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf«, sagte Stefan Küpper, Geschäftsführer für Bildung, Arbeitsmarkt und Landespolitik beim Verband Unternehmer Baden-Württemberg.
Kita-Träger können bald selbst entscheiden
Wegen des großen Fachkräftemangels will das Land einen sogenannten »Erprobungsparagrafen« einführen. Damit sollen Kita-Träger vor Ort künftig selbst entscheiden dürfen, befristet Personalvorgaben zu lockern - also die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher pro Gruppe zu senken. Das geht aber nur, wenn das Konzept mit den Betroffenen vor Ort abgestimmt wurde. Das Landesjugendamt muss den Antrag dann prüfen. Soll das Modell nach der Erprobung weiter fortgesetzt werden, muss zudem die Wirksamkeit nachgewiesen werden.
Das Land erhofft sich von der neuen Regelung, dass damit Kita-Plätze erhalten und geschaffen werden können sowie ausreichende Betreuungszeiten angeboten werden können. Das Kabinett hatte der Regelung bereits Mitte Oktober zugestimmt, im Landtag soll der entsprechende Gesetzentwurf am Mittwoch abschließend beraten werden.
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