Rheinstetten (dpa/lsw) - Verbessern die von der Digitalisierung angetriebenen Veränderungen im Büroalltag die Zufriedenheit der Mitarbeiter? Nicht unbedingt, meint der Chemnitzer Professor für Organisations- und Arbeitspsychologie Bertolt Meyer. »Die Zufriedenheit von Mitarbeitern ist dann besonders hoch, wenn sie in ihrer Tätigkeit Sinn erkennen und die Arbeit ihre Bedürfnisse befriedigt«, sagt er vor Beginn der Bildungsmesse Learntec in Rheinstetten.
Die Messe befasst sich von Dienstag bis Donnerstag (30.1.) unter anderem mit dem Vormarsch von »New Work«. Der Begriff geht auf den Philosophen Frithjof Bergmann zurück. Unternehmen verstehen darunter, ihren Mitarbeitern in der digitalen Welt veränderte räumliche, technische und zeitliche Möglichkeiten anzubieten. So werden feste Räume oder Schreibtische aufgegeben. Mitarbeiter können per Laptop von jedem Ort im Unternehmensgebäude, auf Reisen oder im Home Office auf alle nötigen Daten und Programme zugreifen - alleine oder in Teams.
Das Karlsruher Drogerieunternehmen dm hat im vergangenen Jahr unter dem Namen Dialogicum seine neue Zentrale eröffnet, die so ein offenes Konzept räumlich umsetzt. Bergmanns ursprünglicher Gedanke, dass die Menschen tun, was sie wirklich wollen, sei für dm nicht neu, sagt Christian Harms, Geschäftsführer Ressort Mitarbeiter. »Wir kultivieren seit mehr als 20 Jahren unsere dialogische Kultur mit dem Ziel, dass die Arbeit sinnstiftend sein soll.«
Die neue Zentrale unterstützt mit ihrer Architektur agile Formen des Arbeitens. Alle Schreibtische seien jeden Morgen leer, erklärt Harms: »Wir haben komplettes Desksharing.« Je nach Aufgabe wechseln Mitarbeiter ihre Plätze im Haus. Für hochkonzentriertes Arbeiten gibt es kleine Einzelräume. Die Mitarbeiter können orts- und zeitunabhängig auf alle Daten zugreifen, größtenteils auch über Smartphones. Außerhalb der Essenszeiten kann man das Betriebsrestaurant für Besprechungen nutzen.
Nach Meyers Angaben reagieren die meisten Mitarbeiter auf Veränderungen zunächst mit Ängstlichkeit: »Es gibt kaum etwas, das psychologisch so unangenehm ist für Menschen wie das Gefühl, dass etwas Errungenes verloren geht.« Das könnten zum Beispiel Status oder Kompetenz sein. Eigene Räume oder Schreibtische aufzugeben sei für viele Mitarbeiter schwierig.
Eine offene Gestaltung der Räume sei für viele Unternehmen ein Symbol für die Veränderung der Kultur des Zusammenarbeitens, erläutert der Professor an der Technischen Universität Chemnitz. Die Idee sei, stärker auf Gruppenarbeit, Kommunikation und Flexibilität zu setzen. Das gehe aber auch mit höherem Zeitdruck und Arbeitstempo einher.
Ein Vorteil für Unternehmen ist der geringere Flächenbedarf. »Kein Arbeitsplatz bleibt leer, nur weil die Person, die normalerweise dort arbeitet, gerade nicht da ist. Das ist für Unternehmen finanziell wahnsinnig attraktiv.« Für die meisten Unternehmen gehe es auch um Gewinnmaximierung.
Der Begriff der neuen Arbeitswelten wird nach Meyers Überzeugung inflationär benutzt. »New Work« sei eine Arbeit, die aufgrund ihres Inhalts wirklich erfülle. Dazu könne Büroarchitektur nur einen sehr begrenzen Beitrag leisten.