Stuttgart (dpa/lsw) - Baden-Württembergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger sieht bei der anstehenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie im Frühjahr keinen Sinn darin, hauptsächlich mehr Geld zu fordern. Das Thema Lohnsteigerung werde bei den Gesprächen mit den Arbeitgebervertretern zwar eine Rolle spielen, sagte Zitzelsberger der Deutschen Presse-Agentur. Er gehe aber davon aus, dass es auf Gewerkschaftsseite »einen starken Fokus« auf die Themen Beschäftigungssicherung, Weiterbildung und Qualifizierung geben werde.
»Wenn ich in die Belegschaften reinhöre, dann sagen mir die Menschen zum überwiegenden Teil, dass das für sie eine herausragende Rolle spielt«, erläuterte Zitzelsberger. »Diese Themen stehen deshalb weit oben auf der Agenda - und da erwarten wir auch von den Arbeitgebern, dass sie keine ideologische Debatte führen, sondern mithelfen, den Beschäftigten Sicherheit im Wandel zu vermitteln.«
Die Tarifrunde steht im Zeichen schwächerer Konjunkturdaten und anstehender Strukturveränderungen insbesondere im Auto-Bereich. Die Laufzeit der geltenden Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie endet am 31. März. Bis dahin gilt eine Friedenspflicht, anschließend sind beispielsweise Warnstreiks möglich. Die Große Tarifkommission der IG Metall in Baden-Württemberg will ihre konkrete Tarifforderung am 20. Februar beschließen.
Der schleichende Abschied vom Verbrennungsmotor bereitet der Autoindustrie und vor allem den Zulieferern derzeit große Probleme. Zitzelsberger sagte, man müsse die konjunkturelle Eintrübung ernst nehmen, bei den Tarifverhandlungen würden »die Bäume nicht in den Himmel wachsen«. Allerdings betonte er, die gefühlte wirtschaftliche Lage sei schlechter als die tatsächliche Lage. »Wir befinden uns in keiner handfesten Krise - und schon gar nicht in einer, die mit der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren vergleichbar wäre.«
Dass viele Unternehmen Tausende Stellen abbauen wollten, sei vor allem auf strukturelle Veränderungen in der Industrie zurückzuführen. Obendrein wollten die Firmen ihre Margen oben halten. »Konjunkturelle Dinge spielen da keine Hauptrolle.«
Der Strukturbruch der deutschen Schlüsselbranche hin zu E-Modellen, Digitalisierung und automatisiertem Fahren ist in vollem Gange und führt auch bei Big Playern zu Umwälzungen. Beim Autobauer Daimler hat Vorstandschef Ola Källenius wegen eines Gewinneinbruchs und weiterhin hoher Kosten für neue Technik ein scharfes Sparprogramm aufgelegt und will mehr als 10 000 Stellen streichen. Der Zulieferer Bosch hat im Zuge der Autokrise und der schwächelnden Konjunktur den Abbau von rund 3500 Stellen an mehreren deutschen Standorten bekanntgegeben.
Zitzelsberger kritisierte: »Mit Blick auf die Meldungen aus den letzten Monaten gewinnt man den Eindruck, die Unternehmen würden sich einen Wettbewerb liefern, wer wie viele Stellen streicht.« Klar sei, dass die 2020er-Jahre die »Jahre des Umbruchs« auf dem Arbeitsmarkt seien. Die IG Metall wolle diesen Wandel mitgestalten. »Das setzt aber voraus, dass die Unternehmen auch bereit sind, einen sozialen und demokratischen Prozess mitzugehen, anstatt eine Rotstift-Politik zu betreiben, Stellen zu streichen und Leute zu entlassen.«
Dabei würden die Arbeitnehmer dringend gebraucht. »Wir suchen auf der einen Seite händeringend nach Fachkräften und diskutieren andererseits jetzt schon wieder über Personalabbau«, kommentierte der Gewerkschaftsmann. »Die Botschaft der Unternehmen müsste doch eigentlich lauten: Leute, ihr werdet dazulernen müssen und künftig möglicherweise an anderer Stelle andere Dinge tun. Aber macht euch keine Sorgen: Wir unterstützen und begleiten euch dabei.«
Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger hatte angesichts der angespannten wirtschaftliche Situation zuletzt gesagt: »Die fetten Jahre sind jetzt zu Ende. Das sieht jeder und da müssen wir uns wieder mehr darauf konzentrieren, wie wir wettbewerbsfähiger werden.« Unsicherheiten wie der Brexit und der Handelsstreit zwischen den USA und China belasteten die exportstarke Metall- und Elektroindustrie schwer. Diese Punkte sowie die Umbrüche in der Industrie müssten bei kommenden Tarifabschlüssen berücksichtigt werden.