Im Streit um den Spitzenposten am Oberlandesgericht Stuttgart hat Justizministerin Marion Gentges (CDU) ihr Vorgehen verteidigt. Gentges sagte am Dienstag in Stuttgart bei einer Sondersitzung des Ständigen Ausschusses, der Präsidialrat des Gerichts habe ihre Kandidatin für den Chefsessel zur Kenntnis genommen und einen eigenen Vorschlag gemacht. »Das ist grob rechtswidrig.« Es gelte nun die grundsätzliche Frage vor dem Verwaltungsgericht zu klären, ob das Gremium aus Richtern und Richterinnen eine Personalentscheidung kontrolliere oder durch eine eigene Entscheidung ersetzen könne.
Heftige Kritik am Verhalten der Justizministerin kam von der oppositionellen FDP und SPD. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Boris Weirauch, sagte: »Die Klage von Ministerin Gentges ist ein Frontalangriff auf die Justiz.« Dass sie die Richterschaft verklage, weil ihr dessen Personalentscheidung bei der Besetzung des OLG-Präsidentenamtes nicht passe, sei in der Geschichte des Landes ein einmaliger Vorgang. Und der FDP-Politiker Nico Weinmann fügte hinzu, das Vorgehen der CDU-Politikerin habe das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt. Es gebe einen großen Vertrauensverlust.
In Baden-Württemberg regiert Grün-Schwarz. Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) stärkte der CDU-Politikerin zuvor den Rücken, die gegen den Präsidialrat eine einstweilige Verfügung beantragt hat. »Das ist ja nicht unbegründet«, sagte Kretschmann. Es müsse eine Klarheit geschaffen werden zwischen den Gewalten.
Der Vorgang rund um die OLG-Kandidatur und die Nachfolge von Cornelia Horz hat Seltenheitswert in der jüngeren Justizgeschichte. Die bisherige OLG-Präsidentin ist seit Mai im Ruhestand.
Die Urteile von Gerichten haben aus Sicht Kretschmanns zwar immer das letzte Wort. »Aber wie sich die Gewalten gegeneinander aufstellen, das ist natürlich auch eine Frage des Justierens der Gewalten untereinander.«
Gentges hatte für den vakanten OLG-Leitungsposten die Abteilungsleiterin im Justizministerium, Beate Linkenheil, favorisiert - und dem Präsidialrat der Richter vorgeschlagen. Dieser darf überprüfen, ob Fehler vorliegen. Dort wurde Linkenheil allerdings abgelehnt. Der Präsidialrat sprach sich für Andreas Singer aus, den Präsidenten des Stuttgarter Landgerichts. Ein vor Pfingsten geführtes Einigungsgespräch blieb erfolglos.
Das Gesetz sieht in diesem Fall vor, dass dann der Richterwahlausschuss angerufen werden soll. Ihm gehören Vertreter der Richterschaft und der Landtagsparteien an.
Gentges sagte, das Ministerium sei zu dem Ergebnis gekommen, Linkenheil habe einen »Vorsprung« in dem Bewerbungsverfahren gehabt. Der Präsidialrat sei in dem Verfahren nicht richterlich tätig, sondern nehme die Aufgabe eines Mitbestimmungsorgans war. Unter den acht höchsten Chefposten in der Südwest-Justiz gibt es aktuell keine Frau.
Der Deutsche Richterbund Baden-Württemberg wirft der Ministerin vor, den jahrzehntelangen Konsens über die Aufgaben und Befugnisse des Präsidialrats aufzukündigen.
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