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Heftige Kritik an Palmer nach »Judenstern«-Äußerung

Mit einem Disput um seine Verwendung des »N-Wortes« sorgt Boris Palmer für Empörung. Anwalt Rezzo Schlauch kündigt dem Tübinger Oberbürgermeister die Freundschaft - aber nicht nur er ist entsetzt.

Boris Palmer und Rezzo Schlauch
Boris Palmer zusammen mit seinem damaligen Anwalt Rezzo Schlauch (r). Foto: Christoph Schmidt
Boris Palmer zusammen mit seinem damaligen Anwalt Rezzo Schlauch (r).
Foto: Christoph Schmidt

Mit umstrittenen Äußerungen in Frankfurt am Main hat der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer heftige Kritik auf sich gezogen. Unverständnis herrscht nicht nur bei den Beteiligten dort, sondern auch in Baden-Württemberg. Anwalt Rezzo Schlauch wandte sich von Palmer ab, der Tübinger Grünen-Stadtverband ging auf Distanz.

Palmer hatte am Freitag mit einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gruppe vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main für Aufsehen gesorgt. Vor einem Gebäude der Goethe-Universität hatte er zu Art und Weise seiner Verwendung des »N-Wortes« Stellung bezogen. Als er mit »Nazis raus«-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: »Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem Ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für Euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach.« Mehrere Medien berichteten über den Vorfall. Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

Palmers Anwalt Schlauch teilte am Sonntag mit: »Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt.« Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: »Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen.« Schlauch hatte Palmer im Parteiordnungsverfahren juristisch vertreten und auch beim Wahlkampf in Tübingen unterstützt.

Der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte »die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern« durch Palmer. »Wir bedauern, dass erneut durch Aussagen von Boris Palmer viele Menschen verletzt wurden.«

Wie Palmer der dpa bestätigte, sind die Äußerungen in Frankfurt so gefallen. »Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen«, erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht. Er habe den Protestierenden erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass »ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet«.

Palmer bestätigte zudem die Verfolgung seiner jüdischen Vorfahren durch die Nazis. Seine Familie habe sich dem Judenstern durch Flucht gerade noch entziehen können. »Mein Vater Helmut wurde in der Schule mit dem Namen «Moses» gerufen und nach dem Krieg mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, weil er Nazis Nazis nannte«, schrieb Palmer am Samstag auf Facebook. Er erklärte zudem, er sage das »N-Wort«, weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. »Das hoch umstrittene Wort« gehöre jedoch nicht zu seinem aktiven Wortschatz. »Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.«

Zuvor hatten sowohl Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) wie auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, die Äußerungen Palmers verurteilt. Palmer hatte dort bei der Konferenz »Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland« gesprochen.

Bereits im Mai 2021 hatte Palmer in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.

Die grüne Landespartei äußerte sich zunächst nicht zu dem jüngsten Vorfall. Von der Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, hieß es auf Twitter mit Bezug auf die ruhende Mitgliedschaft Palmers, dieser Schritt sei »nicht ohne Grund« erfolgt. »Der neuerliche Tiefpunkt von Boris Palmer kann trotzdem nicht so stehen bleiben.«

Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister in der schwäbischen Universitätsstadt. Mit pointierten Äußerungen etwa zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweites Aufsehen und Anerkennung brachte aber auch sein Management während der Corona-Pandemie. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte kurz nach der Wiederwahl Palmers auf eine schnellere Wiederaufnahme Palmers bei den Grünen gedrungen.

Twitter-Video mit Disput

Palmer-Reaktion auf Facebook

Palmer zu Familiengeschichte

Stellungnahme Goethe-Universität Frankfurt/Main

Büning-Tweet

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