STUTTGART/TÜBINGEN. Für das Ellis Institut, die Stadtwerke und Südweststrom in Tübingen war Weihnachten im März. KI-Forschungsstätte, Energieversorger und Stromhändler erhielten Besuch vom baden-württembergischen Landtag. Eine Delegation der Grünen-Fraktion reiste an. Fraktionschef Andreas Schwarz und der Tübinger Abgeordnete Daniel Lede Abal wollten wissen, wie das Geschäft läuft und was gebraucht wird. Inwiefern es die Wunschzettel von Forschung und Wirtschaft auf die Aufgabenliste der Politik schaffen, wird sich zeigen.
Die Landtags-Grünen wollen den Standort Baden-Württemberg fördern. Zu den Zukunftsbranchen zählen künstliche Intelligenz (KI) und erneuerbare Energie. Zentral sind außerdem nach wie vor Automobil- und Zulieferindustrie sowie Maschinen- und Anlagenbau. Relativ neu hinzugekommen sind Gesundheits- und Rüstungswirtschaft. »Die Politik kann gute Rahmenbedingungen schaffen«, erklärte Schwarz. »Fördergelder bereitstellen und Vergabeverfahren vereinfachen.« Die nächste Landtagswahl ist für März 2026 geplant. Ministerpräsident Winfried Kretschmann tritt nicht mehr an. Die Grünen wollen mit Spitzenkandidat Cem Özdemir erneut die Villa Reitzenstein erobern.
Popularität und Wahlerfolg der Grünen werden auch von der Wirtschaftskraft im Land abhängen. Künstliche Intelligenz könnte ein Zugpferd sein. Hier setzt die grün-schwarze Landesregierung – wie in anderen Branchen auch – regionale Schwerpunkte. »Stärken stärken statt Gießkanne«, lautet das Motto. Die Vorreiterrolle übernehmen Tübingen und Stuttgart mit dem Cyber Valley und Heilbronn mit dem Innovationspark Künstliche Intelligenz (IPAI). Erstere erforschen Grundlagen, letzteres bringt Neuerungen in mittelständische Unternehmen.
KI-Institut Ellis wirbt um US-Forscher
Das Ellis Institut in Tübingen geht einen Schritt weiter. Der Verbund trägt die Forschungskooperation über Baden-Württemberg hinaus nach Europa. Die Tübinger Ellis-Einheit wurde 2023 gegründet und befindet sich zurzeit im Aufbau. Jedes Jahr sollen 15 neue Mitarbeiter eingestellt werden.
Bernhard Schölkopf, wissenschaftlicher Leiter von Ellis, sagte: »Wir wollen die klügsten Köpfe nach Tübingen holen.« Chancen wittert der Informatiker in Amerika. »Die Situation ist gerade ideal, um Talente aus den USA anzuziehen.« Viele Spitzenforscher seien auf Jobsuche. Mit attraktiven Angeboten könne man sie womöglich nach Deutschland locken. »Wir wollen Leute, die die Welt verändern wollen«, betonte Schölkopf.
US-Präsident Donald Trump stutzt seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar 2025 die amerikanische Forschungslandschaft zurecht. Auf seiner Streichliste stehen Gesundheit, Klimaschutz, Bildung, Diversität und Entwicklungshilfe. Dort kürzt er Behördenstellen und Fördergelder. Viele Wissenschaftler, die in diesen Bereichen arbeiten, erwägen einen Umzug ins Ausland. Einige deutsche Forschungseinrichtungen wollen die Chance nutzen. Die Max-Planck-Gesellschaft zum Beispiel spricht offen über ihre Abwerbungsabsichten.
In diesem Zusammenhang verwies Schwarz bei Ellis auf die Baden-Württemberg Stiftung. Für die Gewinnung ausländischer Wissenschaftler stellt sie zwei Millionen Euro im Jahr 2025 zur Verfügung. »Wir bieten exzellenten Talenten – insbesondere aus den USA – eine Perspektive und stärken zugleich unseren Innovationsstandort«, betonte Schwarz, der zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der BW Stiftung ist.
Finanziell ist das Ellis Institut bereits gut aufgestellt. Geschäftsführer Volker Maria Geiß berichtete beim Politiker-Treffen von der öffentlich-privaten Partnerschaft: Das Land Baden-Württemberg gibt 25 Millionen Euro und die Hector Stiftung II gibt 100 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre.

KI ist nicht nur ein wirtschaftlicher Faktor, sondern auch ein geopolitischer. Darauf machte Ellis-Forschungsgruppenleiter Wieland Brendel aufmerksam. Er erwartet eine »Beschleunigung des technologischen Wandels«. »Damit müssen wir als Gesellschaft klarkommen.« Auch Schwarz warnte: »Wenn wir zu langsam sind, dann verlieren wir den Anschluss. Wir müssen schneller werden.« Nötig sei eine schlankere Bürokratie.
Andernfalls, darauf verwies Jonas Geiping (ebenfalls Forschungsgruppenleiter bei Ellis), seien negative Folgen zu befürchten: »Deutschland müsste KI aus USA oder China kaufen. Damit würden wir auch deren Werte kaufen.« Das widerspricht der deutschen und europäischen Strategie einer künstlichen Intelligenz, die von der Politik reguliert wird, am Gemeinwohl orientiert ist und Regeln zum Datenschutz einhält.
Digitalisierung ökologisch gestalten
Ein entscheidendes Kriterium für den Hochlauf der künstlichen Intelligenz in Deutschland ist günstige Energie. Denn KI benötigt für Training und Betrieb riesige Rechenzentren, die Unmengen Strom verbrauchen. Damit das nicht zulasten des Klimas geht, setzen Baden-Württembergs Grüne auf Green IT. Dazu gehören drei Bausteine. Erstens Kreislaufwirtschaft: Gemeint ist das Recyling von Metallen und seltenen Erden, die in elektronischen Geräten verbaut sind. »Sonst machen wir uns erpressbar«, sagte Schwarz. Die Rohstoffe werden größtenteils in instabilen afrikanischen Staaten unter menschenverachtenden Bedingungen gewonnen und in China verarbeitet.
Zweitens Energieeffizienz: »Digitalisierung und Automatisierung machen Prozesse effizienter und sparen dadurch Energie«, ist Schwarz überzeugt. Die Branche bestätigt den Trend zu mehr Technik: In den nächsten Jahren wird mit dem Durchbruch KI-gestützter, humanoider Roboter gerechnet. Dann sollen die schlauen Maschinen in Menschenform Privatpersonen etwa im Haushalt Aufgaben wie Kochen, Putzen oder Bügeln abnehmen.
Drittens ökologische Energie: »Wir brauchen einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien«, forderte Schwarz. Und sieht das Land bereits auf gutem Weg: 788 Windkraftanlagen sind aktuell in Betrieb, weitere 1.139 Anlagen sind in Planung. »Wir haben die Genehmigungsdauer von sieben Jahren auf sieben Monate reduziert«, erzählt Schwarz. Photovoltaikanlagen liefern die maximale Leistung von 12,8 Gigawatt-Peak (GWp). Die Daten stammen von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg.
Stadtwerke setzen auf Erneuerbare
Entsprechend legte Schwarz den nächsten Stopp bei den Stadtwerken Tübingen ein. »Stadtwerke sind wichtige Partner der Energie- und Wärmewende«, betonte Schwarz. Geschäftsführer Ortwin Wiebecke nannte zwei Großprojekte: Ausbau des Fernwärmenetzes und Umstellung auf erneuerbare Energien. Aktuell könnten die Stadtwerke 75 Prozent des Strombedarfs in Tübingen decken, mit dem geplanten Ausbau 100 Prozent. »40 Windkraftanlagen haben wir in der Pipeline«, berichtete Wiebecke. Der neue Solarthermiepark Au soll ab Oktober 2025 pro Jahr 15.000 Kilowattstunden liefern. Das entspricht der Versorgung von 400 Einfamilienhäuser mit Wärme.
Sorgen bereitete Wiebecke die Finanzierung: »Die Stadtwerke haben mehrere hundert Millionen Euro Investitionsbedarf«, berichtete er. »Die Frage ist: Wie können wir das bezahlen?« Als kommunales Unternehmen sind die Stadtwerke vom Haushaltsdefizit der Stadt Tübingen unmittelbar betroffen. In der Stadtkasse fehlen voraussichtlich 39 Millionen Euro für das Jahr 2025.
Südweststrom braucht Finanz-Zusagen
Mit dem Geld hadert auch Südweststrom. Das ist ein Zusammenschluss von über 150 Stadtwerken, die gemeinsam Strom und Gas einkaufen, um von günstigeren Großmarkt-Preisen zu profitieren. »Wir geben die Beschaffungspreise direkt an unsere Kunden weiter«, erklärte Geschäftsführer Daniel Henne. Allerdings hätten die Preisschwankungen wegen politischer Unsicherheiten wie Ukraine-Krieg und Trump-Präsidentschaft zuletzt zugenommen.
Beim Einkauf von erneuerbarer Energie kommt laut Henne ein weiteres Problem hinzu: Windenergie wird hauptsächlich in Nord- und Ostdeutschland produziert. Um den Strom in den wirtschaftsstarken Süden zu transportieren, fehlten bislang noch Übertragungsnetze. Auch Batterien zur Speicherung von überschüssigem Strom seien nicht ausreichend vorhanden. Für den Ausbau brauche es finanzielle Zusagen von der Politik.
Schwarz bestätigte den Bedarf von Wirtschaft und Gesellschaft nach »günstiger, ökologischer und sicherer Energie«. Zur Finanzierung verwies er auf den Klima- und Transformationsfonds, der 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellt für Klimaneutralität bis 2045. »Ein Teil fließt in die kommunale Energie- und Wärmewende«, versprach Schwarz. Dieses Budget hatten die Grünen im März 2025 ins Grundgesetz hineinverhandelt als Bedingung für ihre Zustimmung zur faktischen Aufhebung der Schuldenbremse für verteidigungsnahe Ausgaben sowie zum kreditfinanzierten Sondervermögen für Infrastruktur. (GEA)