Beim linken Flügel der Grünen in Baden-Württemberg gibt es Widerstand gegen eine rasche Annäherung der Partei an den gerade wiedergewählten Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. »Für uns ändert das Wahlergebnis nichts«, sagte Aya Krkoutli, Sprecherin der Grünen Jugend, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. »Palmer hat aus unserer Sicht keinen Platz in der Partei und wir lehnen eine Wiederannäherung grundsätzlich ab.« Palmer war bei der OB-Wahl als unabhängiger Kandidat angetreten, weil seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende 2023 wegen Streits um Tabubrüche und Rassismusvorwürfe ruht.
Krkoutli, die auch im Grünen-Landesvorstand sitzt, hält Palmer für rassistisch. »Er hat immer wieder gegen die Grundwerte der Grünen gearbeitet.« Von ihm sei keine Entschuldigung für seine Äußerungen zu erwarten. »Wir als Grüne Jugend haben nichts verziehen.« Sie verlangte von der Parteispitze im Südwesten, dass sie die geplanten Gespräche mit Palmer im nächsten Jahr »unabhängig vom Wahlsieg« führt. Auch der Stuttgarter Europaabgeordnete Michael Bloss hält nichts davon, dem umstrittenen Kommunalpolitiker nach dem Wahlsieg den roten Teppich auszurollen. »Wir müssen den Prozess, wie ihn das Schiedsgericht vorgegeben hat, unbedingt einhalten«, sagte das Landesvorstandsmitglied der dpa. »Als Grüne stehen wir für eine Willkommenskultur und gegen Rassismus.«
Nach Palmers Wahlsieg hatten sich mehrere Politiker des Realo-Flügels für eine Annäherung zwischen ihm und der Partei ausgesprochen - etwa Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Finanzminister Danyal Bayaz. Bloss sagte dagegen: Das Ausschlussverfahren gegen Palmer sei von den Grünen im Mai 2021 beschlossen worden, »weil der Tabubruch zur Methode gemacht wurde, um Aufmerksamkeit zu generieren«.
Der klimapolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament warnte: »Wenn die Wiederwahl von Boris Palmer als Bestätigung dieser Methode gelesen wird, dann wird das auch in Zukunft nichts mehr werden mit ihm und der grünen Partei.« Bloss zeigte sich überzeugt: »Grüne Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen können auch ohne Tabubruch erfolgreich sein. Das zeigen wir in Hannover, Bonn, Göppingen und bald auch in Heidelberg.« In Heidelberg tritt Ex-Wissenschaftsminister Theresia Bauer für die Grünen an.
Am 23. Oktober war Palmer für weitere acht Jahre als OB in der Universitätsstadt gewählt worden. Er ist seit 16 Jahren Rathauschef in Tübingen. Grünen-Landeschefin Lena Schwelling will bereits zu Beginn des nächsten Jahres Gespräche mit Palmer führen. Das fällige Gespräch darüber, wie Palmer kontroverse Meinungen äußern könnte, ohne die Grundsätze und Ordnung der Partei zu verletzen, werde man schon Anfang nächsten Jahres führen, sagte sie dem »Spiegel«. Ein konkreter Zeitplan werde in den zuständigen Gremien erarbeitet, fügte eine Sprecherin der Landespartei hinzu.
Zuvor hatten Schwelling und ihr Co-Vorsitzender Pascal Haggenmüller erklärt, dass der im April geschlossene Vergleich einen klaren Pfad vorgebe, »um künftig wieder in geordneten innerparteilichen Verfahren zusammenzuarbeiten: Die Mitgliedschaft von Boris Palmer ruht bis Ende 2023, gleichzeitig bleiben die Kommunikationskanäle geöffnet«. Man fühle sich diesem verpflichtet und werde die Gespräche mit »großer Ernsthaftigkeit« führen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) warb in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (Samstag) für eine Reintegration des OB, aber dafür müsse Palmer auch Regeln einhalten. Palmer sei ein »ausgezeichneter Kommunalpolitiker« und könne für die Ökopartei »wichtige Wählergruppen« erschließen. Ob der OB wieder seinen Platz finde, hänge vor allem an ihm selbst und seinem Debattenstil: »Mehr Kretschmann, weniger Rowdytum beim Diskutieren«, empfahl Özdemir. »Denn zur Wahrheit gehören auch seine inakzeptablen sprachlichen Entgleisungen. Das geht einfach nicht.«
Der türkischstämmige Minister sagte aber auch: »Wir müssen in unserer Partei unbedingt kritische Debatten zum Beispiel über Migrations- oder Identitätspolitik führen. Nur die Debatten, die Boris in den vergangenen Jahren angezettelt hat, die handelten ja nicht mehr von diesen wichtigen Themen, sondern da ging es nur um den Egozentriker aus Tübingen.«
Palmer hatte vor einigen Tagen gesagt, er wolle als wiedergewählter Oberbürgermeister stärker auf seine Facebook-Veröffentlichungen achten. »Ich habe mir ein Lernfeld vorgenommen, nämlich so zu formulieren, dass ich nicht so oft missverstanden werden kann«, sagte er dem »Südkurier«. Dies sei oft schwierig. Sein Vorsatz sei: »Weniger Streit über Dinge, die ich gar nicht gemeint habe. Mehr Streit über die notwendigen Themen.«
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