Die Landesregierung will mit einer neuen Luft- und Raumfahrtstrategie die Entwicklung der Branche in Baden-Württemberg vorantreiben - und im Konkurrenzkampf innerhalb Deutschlands und international unterstützen. »Die Luft- und Raumfahrt ist kein abgehobenes Thema für Spezialisten, sondern bringt uns hier auf der Erde ganz konkret voran«, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Die Branche sei ein »Technologie-Schrittmacher« für viele andere Bereiche und deswegen sehr wichtig für die Entwicklung von Zukunftstechnologien.
Mit der neuen Strategie wolle man die Führungsposition Baden-Württembergs besser sichtbar machen - auch um Fachkräfte anzulocken, sagte Kretschmann. In den Jahren 2023 bis 2026 will das Land dafür gut 42 Millionen Euro investieren. Kretschmann sprach von einem neuen Schwerpunkt der Landesregierung und versprach, die Strategie auch langfristig finanziell unterfüttern zu wollen.
Nach Angaben der Landesregierung sind in der baden-württembergischen Luft- und Raumfahrtindustrie 16 000 Menschen beschäftigt. Die Unternehmen erwirtschaften demnach einen Umsatz von mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr. Vor allem in der Raumfahrt nehme das Land eine führende Rolle innerhalb Deutschlands ein: Etwa 40 Prozent aller Beschäftigten in der Raumfahrt arbeiteten im Südwesten.
Die Konkurrenz in der Zukunftsbranche ist aber groß. So heißt es in der Kabinettsvorlage zur neuen Strategie, man wolle der starken nationalen Konkurrenz »vor allem aus Bayern« und der internationalen Konkurrenz entgegentreten.
Denn auch im Nachbarbundesland ist die Luft- und Raumfahrtindustrie stark vertreten. Nach Angaben des Branchenverbands Bavairia arbeiten dort 38 000 Menschen. Den Umsatz beziffert der Verband auf 12 Milliarden Euro. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte 2018 unter dem Schlagwort Bavaria One ein großes Luft- und Raumfahrtprogramm mit Investitionen von mehr als 700 Millionen Euro angekündigt. So treibt der Freistaat unter anderem den Ausbau eines Forschungscampus an der Technischen Universität München voran.
Die bayerischen Bemühungen machen sich im Kampf um Fachkräfte offenbar bemerkbar. In der Strategie schreibt die baden-württembergische Landesregierung von einem »deutlichen Kompetenzaufbau« an der TU München. Vor diesem Hintergrund müsse die Attraktivität von Forschung und Lehre im Südwesten gesteigert werden. Dafür stellt das Land knapp 4,5 Millionen Euro zur Verfügung. Im Zentrum der Bemühungen steht die Fakultät für Luft- und Raumfahrt an der Universität Stuttgart. Für die Weiterentwicklung der Forschung hin zu mehr Nachhaltigkeit stellt das Land bis zu 3,15 Millionen Euro bereit.
Einen Zweikampf mit dem Nachbarbundesland, will Kretschmann aber nicht vom Zaun brechen. »Wir stehen in einem Wettbewerb, aber wir gestalten den sportlich«, sagte Kretschmann. Die wirkliche Konkurrenz sieht der Regierungschef außerhalb Deutschlands. »Wir konkurrieren nicht mit Bayern, sondern wir konkurrieren zusammen als Europa gegenüber China und den USA.«
Neben der Stärkung der Südwest-Position will das Land die Transformation der Branche vorantreiben. Vor allem der Flugverkehr stehe vor der Herausforderung, bis 2050 klimaneutral zu werden, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Mit der neuen Strategie soll etwa die Erforschung von Wasserstoffflugzeugen gefördert werden. Zudem erhofft sich Kretschmann neue Technologien für den Umgang mit dem Klimawandel: »Navigations- und Kommunikationsanwendungen sowie Erdbeobachtungsdaten aus dem All helfen uns jeden Tag, mit den Herausforderungen des Klimawandels hier auf der Erde umzugehen«, sagte Kretschmann.
Zustimmung zur neuen Strategie kommt aus der Wirtschaft. Es sei gut, dass Baden-Württemberg nun auch nachziehe, nachdem Bayern mit seinem Programm Bavaria One vorgelegt habe. »Wir dürfen uns in diesem Zukunftsfeld keine Abwanderung von Forschung und Entwicklung leisten. Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist hart«, sagte Christian Erbe, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages.
Die FDP im Landtag nannte die Strategie »längst überfällig«. Der Abgeordnete Erik Schweickert fürchtet aber einen zu starken Fokus auf Nachhaltigkeit: »Die Aufladung mit den grünen Themen der Nachhaltigkeit und Ökologie kann auch bedeuten, dass Innovationen woanders gemacht werden.«
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