Nach dem Tod eines jungen Polizisten durch eine Messerattacke in Mannheim ist die Anteilnahme groß: Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) ordnete eine Schweigeminute und Trauerflor an. Die Polizisten in Mannheim wollen bei einer Trauerfeier Abschied von ihrem Kollegen nehmen. Unterdessen bemühen sich die Ermittler, mehr über das Motiv des Angreifers herauszufinden, der nach Angaben aus Sicherheitskreisen zuvor weder als Straftäter noch als Extremist aufgefallen war.
Am kommenden Freitag - eine Woche nach der Tat - soll um 11.34 Uhr des 29-jährigen Polizisten gedacht werden, teilte das Innenministerium am Montag mit. Wann die Trauerfeier stattfinden soll, stehe bisher nicht fest, sagte ein Polizeisprecher. Man wolle zunächst der Familie Raum zum Trauern geben. »Wir brauchen noch etwas Zeit.« Am Abend fand in Mannheim in Tatortnähe eine Kundgebung statt, bei der auch Blumen niedergelegt wurden. Laut Polizei beteiligten sich 8000 Menschen.
Was war passiert?
Am Freitag zückte ein 25-Jähriger mit afghanischer Staatsbürgerschaft auf dem Marktplatz bei einer Veranstaltung der islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE) ein Messer. Er verletzte sechs Männer, darunter den Polizisten. Dieser erlag am Sonntagnachmittag seinen Verletzungen. Durch den Schuss eines weiteren Polizisten wurde er gestoppt. Unter den Verletzten waren laut Polizei ein Iraker und ein deutsch-kasachischer Doppelstaatler.
Was weiß man über den Hintergrund der Tat?
Das Motiv für die Attacke ist weiter unklar. Allerdings gibt es Videoaufnahmen, die zeigen, dass der Angreifer sich den Info-Stand von Pax Europa angeschaut hat, kurz bevor er das erste Mal zustach. Insofern ist ein Zusammenhang denkbar zwischen dem Angriff und der islamkritischen Veranstaltung mit Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger, der auch bei dem Angriff verletzt wurde. Am Stand der rechtspopulistischen Bewegung waren Slogans wie »Der Politische Islam bedroht Demokratie, Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte!« zu lesen.
Bisher sei der Täter aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig gewesen, hieß es von der Staatsanwaltschaft am Montag. Neben Aussagen zum Tatmotiv vom Täter selbst erhoffen sich die Ermittler weitere Erkenntnisse durch die Auswertung der bei der Durchsuchung seiner Wohnung im hessischen Heppenheim gefundenen Datenträger.
Was ist bekannt über den Täter?
Bis jetzt nicht viel. Er kam nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 2013 als Teenager nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Der Antrag wurde 2014 abgelehnt. Es wurde allerdings ein Abschiebeverbot verhängt, vermutlich wegen des jugendlichen Alters. In Heppenheim wohnte der Täter zuletzt mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern. Wo die Frau ist und ob sie schon vernommen wurde, ist nicht bekannt.
Sorge und Betroffenheit
Auf die Frage, ob die Messerattacke womöglich Auswirkungen auf die Sicherheitsvorkehrungen für die Fußball-Europameisterschaft haben werde, antwortete ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin, die Sicherheit habe bei der EM natürlich höchste Priorität. Bund und Länder bereiteten sich deshalb intensiv vor, um diese gewährleisten zu können. »Selbstverständlich ist es immer so, dass lageabhängig Maßnahmen geprüft werden«, fügte er hinzu.
Streifenwagen mit Trauerflor und Schweigeminute
Ab sofort und bis zum Tag der Beisetzung des Polizisten soll an allen Streifenwagen der Polizei Baden-Württemberg Trauerflor angebracht werden. Die Beflaggung an Dienstgebäuden der Polizei und des Innenministeriums sei auf halbmast gesetzt. Auch die Dienstfahrzeuge der Bundespolizei bundesweit fahren als Zeichen der Anteilnahme mit Trauerflor. In Mannheim und Stuttgart wurde auch Trauerbeflaggung angeordnet.
Politische Debatte
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte ein striktes Vorgehen gegen Extremisten an. Der Polizist habe für Frieden und Sicherheit sein Leben verloren. Er sei im Einsatz gewesen, weil er die Demokratie beschützt habe und das Recht von allen, die eigenen Meinung zu sagen, egal, ob sie irgendwem sonst gefalle. »Wenn jetzt Extremisten die Freiheit, sich zu bewegen, seine Meinung zu äußern, beeinträchtigen, dann müssen sie wissen, dass sie uns als ihre härtesten Gegner haben«, sagte Scholz.
Hamburg will sich auf der nächsten Innenministerkonferenz (IMK) für eine Abschiebung schwerkrimineller Ausländer nach Syrien und Afghanistan einsetzen. Die Ministerrunde solle das Bundesinnenministerium bitten, die Sicherheitslage in Afghanistan und in der Region der syrischen Hauptstadt Damaskus neu zu bewerten. Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, Ministerin Faeser prüfe intensiv Möglichkeiten, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder erfolgen könnten. In diesen Fällen müsse das Sicherheitsinteresse Deutschlands klar gegenüber dem Bleibeinteresse des Betroffenen überwiegen. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage und der Tatsache, dass keine international anerkannte Regierung in Afghanistan existiere, seien aber schwierige Fragen zu klären.
BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht forderte eine Kehrtwende in der Migrationspolitik. »Die extrem steigende Kriminalität von Nichtdeutschen, die sich in immer mehr Gewaltdelikten, Messerattacken und Vergewaltigungen äußert, ist ein sehr ernstes Problem, das beim Namen genannt werden muss.« Linken-Chef Martin Schirdewan verurteilte den Angriff von Mannheim scharf, zugleich betonte er, Menschen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Zu denjenigen, die ihr Entsetzen über den Angriff bekundeten, gehörten auch der Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, und der Vorstand der neuen Partei Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (Dava), in der sich unter anderem ehemalige Funktionäre von Islam-Verbänden engagieren.
Laut »Rheinischer Post« soll sich auf Antrag der Unionsfraktion der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit der Tat und der Gewalt gegen Polizisten beschäftigen. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, sagte der Zeitung: »Der Deutsche Bundestag muss das Thema Gewalt gegen Polizisten und Messergewalt zusammen debattieren.« Dann müsse auch »Entschlossenheit im Durchsetzen von Abschiebungen von Straftätern und Rückhalt für Polizisten folgen«
Was passiert mit dem Täter?
Eine mögliche Haftstrafe müsste der Mannheimer Täter in Deutschland verbüßen. Ob und wann ein ausländischer Straftäter nach Verbüßung der Haftstrafe abgeschoben wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Situation in seinem Herkunftsland zum Zeitpunkt der Haftentlassung.
Pressemitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei
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