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Fremdschämen für den Stuttgarter OB

Die Verwunderung über den Auftritt von Stadtoberhaupt Frank Nopper (CDU) in einer SWR-Doku hält an

OB Frank Nopper im Interview: Allein gegen die Kritiker.  FOTO: SWR
OB Frank Nopper im Interview: Allein gegen die Kritiker. FOTO: SWR
OB Frank Nopper im Interview: Allein gegen die Kritiker. FOTO: SWR

STUTTGART. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) hat sich mit einem Interview im SWR-Dokumentarbeitrag »Amt am Limit – Der Staat vor dem Kollaps?« offensichtlich keinen Gefallen getan. Seit der Ausstrahlung der 90-Minuten-Sendung vor eineinhalb Wochen (noch zwei Jahre in der ARD-Mediathek abrufbar) steht das Stadtoberhaupt allerorten in der Kritik. Er hatte auf erwartbare Fragen zu den Problemen in der Ausländer- und der Baurechtsbehörde sowie in den Bürgerbüros nicht nur keine passenden Erklärungen geben können, sondern vor laufender Kamera der Journalistin erst unterstellt, sie würde ihn für »dämlich« halten, um dann das Interview sogar ganz abzubrechen.

Auf allen Rathausfluren ist »Zum Fremdschämen« derzeit die gebräuchlichste Situationsbeschreibung. Zudem wird die Frage gestellt, warum sich der OB – anders als Behördenvertreter aus Freiburg und Pforzheim – außerstande sah, die nachvollziehbaren Gründe für die teils desolate Lage in den Ämtern und die eingeleiteten und teils erfolgreichen Gegenmaßnahmen zu beschreiben.

Ob in den Leserbriefspalten, in den Behörden von Land und Stadt oder an den Stammtischen nicht nur in Stuttgart, sondern in der ganzen Region: Es herrscht Fassungslosigkeit über den allenthalben als peinlich erachteten Auftritt Noppers. Von diesem sagt er selbst, ihm sei da wohl »der Gaul durchgegangen«, weil ihn Kritik an der Verwaltung eben »aufgewühlt und emotionalisiert« habe. Und zwar offenbar so stark, dass er sich sogar an der »Ukraine-Front und an der Corona-Front« kämpfen wähnte. Das sorgt für Unverständnis, schließlich sei ihm von der Interviewerin gar kein Grund für Verbalattacken geliefert worden, hält man ihm vor. Wie schon in der Vergangenheit wird ihm unterstellt, die Einarbeitung in Sachthemen zu Gunsten von Festen, Empfängen und Bierfassanstichen zu vernachlässigen.

Vor der Tür campiert

Nopper meint, er habe nur deshalb »überreagiert«, weil unterstellt worden sei, er persönlich sei dafür verantwortlich. Er wollte den Eindruck gewonnen haben, der Antragsstau in der Ausländerbehörde sei im Beitrag als »ein einzigartiges Stuttgarter Phänomen« dargestellt worden, was daher rühre, dass Medien von Medien »abschreiben« würden. Tatsächlich erlangte das Ausländeramt 2023 traurige Berühmtheit, weil dort Hunderte Bürger vor der Tür campierten, um am nächsten Tag einen Termin zu bekommen. Und alle Medien – sogar in China – haben diesen Skandal thematisiert.

In einer ausführlichen Stellungnahme hat die Pressestelle nun geradezu vorbildlich sämtliche Argumente aufgeführt, die der OB hätte anführen müssen, um sich achtbar aus der Affäre zu ziehen. Nach Ansicht von städtischen Mitarbeitern in den betroffenen Behörden seien diese dem OB auch schon dargelegt worden. Über die 18 Maßnahmenpakete für die Bürgerservices und die Ausländerbehörde wurde jedenfalls ausführlich berichtet.

So wäre es angesagt gewesen, die in einer hausinternen Mail benannten Mängel im Baurechtsamt einzuräumen, die zu oft langen Bearbeitungszeiten führen: Schnittstellenprobleme im digitalen Bereich, das Arbeiten auf einer Großbaustelle, das die Mitarbeitenden zwingt, teils mit Ohrstöpseln zu arbeiten – und vor allem der chronische Personalmangel und die zunehmenden rechtlichen Anforderungen. Mittlerweile müssen bei jedem Bauantrag mehr als 100 gesetzliche Vorhaben geprüft werden.

Der Hinweis auf die Verantwortung des Landes an der Malaise hätte nicht patzig, sondern sachlich vorgetragen werden können, denn das digitale Eingangsportal Service BW für Bauanträge funktioniert zumindest nach Ansicht von Amtsleiterin Kirsten Rickes nicht, wie vom Sender zitiert, »einwandfrei«. Tatsächlich sei der Speicherplatz viel zu gering, das System instabil und falle mitunter tagelang aus. Der Hinweis, dass das Land nun selbst auf die – ebenfalls noch problematische – Plattform »Digitales Bauamt« umsteige, hätte dem OB sicher einen Pluspunkt im Gespräch verschafft.

Einige Ratsfraktionsvorsitzende gehen mit Nopper scharf ins Gericht. Stefan Conzelmann (SPD) spricht von einer »nicht nachvollziehbaren Entgleisung« und einem »Affront gegen die Bürger und die Wirtschaft in dieser Stadt«. Sie dürften eine funktionierende Verwaltung erwarten. Der OB wäre gut beraten, seine Hausaufgaben zu machen, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Grünen erwarten, »dass Interviews souverän geführt werden«, auch wenn kritische Fragen gestellt würden. Er müsse Digitalisierung endlich zur Chefsache machen.

Kritik sogar aus der CDU

Hannes Rockenbauch (SÖS) meint, Nopper sei »bis heute nicht in seinem Amt angekommen – Händeschütteln, Feste eröffnen und ausgewählten Bürgern sein Ohr zu leihen, reicht nicht«. Er versage als Verwaltungschef. Luigi Pantisano (Die Linke) meint, der OB habe »die Probleme bei der Ausländerbehörde zwar nur geerbt, unter ihm sind sie aber zu einer Katastrophe angewachsen«. Er hätte sich schützend vor seine Mitarbeiter stellen müssen, den immensen Fachkräftemangel ansprechen und von ersten Verbesserungen berichten müssen. »Leider hat er lieber Medienschelte betrieben und seine völlige Ahnungslosigkeit gezeigt.«

Sogar aus der CDU kommt (versteckte) Kritik: So meint Fraktionschef Alexander Kotz, es wäre womöglich besser gewesen, den für seine souveränen Auftritte bekannten und als ehemaliger Leiter der »Taskforce Bürgerbüro/Ausländerbehörde« faktensicheren und telegenen Ersten Bürgermeister Fabian Mayer (CDU) vor die Kamera treten zu lassen. Pforzheim und Freiburg hätten ja auch nicht ihren OB vorgeschickt.

Mit der Kritik an Noppers beruflichem Umfeld, das den OB nicht davor bewahrte, ein so schlechtes Bild abzugeben, stehen die Fraktionschefs nicht allein. Er hat mit David Rau (einst Gründer und Chefredakteur von Stuggi-TV) sowie der Journalistin Susanne Kaufmann (mit besten Kontakten zu den ehemaligen SWR-Kollegen) gleich zwei Sprecher, die einen professionellen Medienauftritt garantieren sollten. Folgerichtig mussten sie sich fragen lassen, warum sie zuließen, dass das Interview so aus dem Ruder laufen konnte und dass die auf Stuhlhöhe eingestellte Kamera weiterlief, während Nopper zeternd auf und ab lief. Merkwürdig erscheint im Nachhinein auch, dass die Stadt dem SWR für seinen Dreh drei sympathische Mitarbeiterinnen vom Bürgerbüro Mitte als hoch motivierte Paradebeispiele in einem stressigen Umfeld präsentierte – das Trio aber, als die Reporter Monate später mit der Kamera noch einmal vorbeischauten, sich längst hatte versetzen lassen ... (GEA)